eine höchst politische modedebatte im abgeordnetenhaus
: Ein Wowereit lässt sich das Küssen nicht verbieten

Ist sie das nicht? Sie sieht doch so aus wie das Corpus Delicti aus Bangkok. Wie diese umstrittene, angeblich rosafarbene, aber eigentlich blaugräulichrote, schräg gestreifte Krawatte, die dort für Aufsehen sorgte. Klaus Wowereit hat sie auch um den Hals, als die seit vier Tagen währende Debatte zu seiner Reise mit angeblich peinlicher Rede und peinlichem Aufzug gestern auch das Parlament erreichte. Gleich drei Abgeordnete von CDU und FDP drängten den Regierenden Bürgermeister in der Fragestunde zu einer Rechtfertigung.

Wowereit aber sah gar keinen Anlass zu einer Rechtfertigung oder Entschuldigung. Nicht wegen des Streits, ob ein beigefarbener Anzug – er habe schon überlegt, ihn anzuziehen, „damit Sie sich auch ein Bild machen können“ – bei einem Vormittagstermin in Bangkok angemessen war. Auch nicht wegen seiner kritisierten Rede an gleicher Stelle, die bis auf wenige Veränderungen im Internet nachzulesen sei.

Und genauso wenig wegen eines Zeitungsfotos von der Aids-Gala, das ihn beim Knutschen mit Kabarettistin Desirée Nick zeigt, die zuvor als RTL-Dschungelkönigin Schlagzeilen gemacht hatte. Nick sei eine gute Freundin, sagt Wowereit. „Ob die aus dem Dschungelcamp oder aus Charlottenburg kommt, ist egal.“

Nichtsdestotrotz räumt er ein, dass er das Knutschfoto bedauere. Nicht allerdings den Kuss selbst, „weil er Spaß gemacht hat“. Und gibt sich naiv: Er hätte gedacht, auch bei der Aids-Gala eine Privatsphäre zu haben. Das sagt gerade er, der Medienbürgermeister. Privatsphäre. Bei einer Gala, die von Promis und Medieninteresse lebt. Das ist ungefähr so wahrscheinlich wie Schnee im Hochsommer.

Wowereit legt nach, wird offensiv. Das Entscheidende für ihn ist nicht, dass Boulevardblätter das Knutschbild zeigten. Sondern dass die Bild-Zeitung einen Tag später auf der Titelseite fragte, ob er denn nun nicht mehr schwul sei. Wowereit spricht von der „plumpen Attitüde“, man müsse einem Schwulen nur eine schöne Frau gegenüberstellen und schon werde er umgedreht. Das sei „entwürdigend und diskriminierend“, genauso wie der jüngste Umgang mit der baden-württembergischen CDU-Ministerin Annette Schavan.

Es ist nicht die Stil- und Würde-Kritik, die gestern aufhorchen ließ. Vor allem nicht, wenn sie von einem CDU-Fraktionsvize kam, der ohne Krawatte und mit offenem Jackett ans Rednerpult ging. Eher fällt auf, wie kritikresistent Wowereit von sich sagte, auf Etikette Wert zu legen. Wie er vor der Berliner Volksvertretung argumentierte, dass ihn ein Ranking der Zeitschrift Men’s Health in der Kategorie Business-Kleidung auf Platz 2 setzte.

Dass er von sich wie ein Regent in der dritten Person spricht – „Küssen gehört auch zum Regierenden Bürgermeister, und der Regierende Bürgermeister wird sich das Küssen nicht verbieten lassen.“ Dass er sagt: „bis zum Ende meiner Regentschaft“, als er schätzt, wie lange ihm das Foto noch um die Ohren gehauen wird. Das alles wirft nicht die Frage nach Wowereits Verständnis von Würde und Stil auf. Es legt vielmehr nahe, dass er das Rote Rathaus mit dem Hof Ludwig XIV. verwechselt. STEFAN ALBERTI