: Populistische Feuilletons
Revierkultur fühlt sich durch Feuilletonisten als provinziell abgestempelt: Schuld sei die klischeehafte Darstellung durch die Medien. Die sehen die Revierbewohner selbst in der Verantwortung
VON KARSTEN SCHÜLE
Oliver Scheytt, Kulturdezernent der Stadt Essen, ist sich sicher: Schuld an der seltenen sowie stets klischeehaften Darstellung der Ruhrgebietskultur seien die Autoren der überregionalen deutschen Feuilletons. „Die schauen sich auf der Durchreise auf die Schnelle um, schreiben 50 Zeilen darüber, und denken, sie hätten alles erfasst“, sagte Scheytt am Mittwochabend im Essener Kulturwissenschaftlichen Institut (KWI). Scheytt hatte Zeit-Redakteur Christof Siemes zu einer Podiumsdiskussion mit dem Motto „Kultur an der Ruhr – Das Selbstbild und Fremdbild“ geladen. Dieser hatte die plakative These, aufgestellt, das Ruhrgebiet habe als Kunstfiguren nur Tegtmeier und Schimanski hervorgebracht.
Siemes hatte sich auf einen harten Schlagabtausch eingerichtet. „Wer die Kultur an der Ruhr auf Tegtmeier und Tatort reduziert, sollte doch gleich behaupten, es sei Helmut Rahn, der dieses Jahr im Essener Aalto Theater den Wozzeck singt“, hatte sich Scheytt in einem Leserbrief auf den Zeit-Artikel hin ereifert. „Was müssen wir denn noch tun, um von ihnen ernst genommen zu werden?“, fragt Dezernent Scheytt im KWI. „Die Ruhrtriennale und die Cézanne-Ausstellung sind doch große Erfolge gewesen.“ Oftmals würde auch unter den Tisch fallen, dass Leute wie Christoph Schlingensief und Helge Schneider von hier kämen, oder viele der neuen Comedy-Größen wie Atze Schröder. Als besonders ärgerlich empfindet er Zeitungsartikel, bei denen neben dem Text schon der Titel klischeehaft ist, wie etwa „Licht in die Gruft“ (Zeit) oder „Kunst statt Kohle“ (FAZ). „Das ist reines Klischee, mit dem neuen Ruhrgebiet hat das nichts zu tun“, wettert Kulturpolitiker Scheytt.
Feuilletonist Siemes reagiert gelassen und betont: „Ich stehe zu meiner These.“ Zwar gebe es im Revier zweifelsohne ein enormes kulturelles Potential, „mindestens so viel wie in der Hauptstadt Berlin“, nur leider werde das nach außen nicht vernünftig kommuniziert. Ein „Sender-Empfänger-Konflikt“ sei das, erklärt er, und betont: „Wenn beim Empfänger etwas nicht richtig ankommt, so liegt das Problem beim Sender.“ Für ebenso fatal hält Siemes das hiesige Kirchturmdenken: „Sie brauchen hier keine vier Philharmonien. Die Bauten verschlingen Millionen und in einigen Jahren stellt sich die Frage, welche Philharmonie geschlossen werden muss“, sagt Siemes, der für eine bessere Vernetzung der Ruhrgebietsstädte plädiert. „Sie dürfen nicht immer nach Hamburg oder Berlin schauen. Sie müssen die Kultur machen, die sie selber für richtig halten“, fordert er ein neues Ruhrgebietsbewusstsein und Gelassenheit ein. Es brauche viel Zeit, bis über eine Ruhrveranstaltung berichtet würde. Berlinprojekte gelangten viel schneller in die Medien, aber so funktioniere die Medienlandschaft nun einmal.
Von fehlender Absprache zwischen den Revierstädten will Kulturmanager Scheytt nichts wissen: „Wir stimmen uns sehr gut untereinander ab“. Auch einer andere Vermutung Siemes, Industriedenkmäler seien als Spielorte wenig geeignet und auch nicht mehr wirklich gefragt, erteilt er eine Absage. „Doch als Sender“, gibt er Siemes recht, „da müssen wir noch besser werden“. Gerade im Hinblick auf die Bewerbung als Kulturhauptstadt müsse auch der öffentliche Nahverkehr noch dringend verbessert werden. Den Vorwurf an die überregionalen Feuilletons will Scheytt aber dennoch nicht fallen lassen. Vielmehr vermutet er, dass Ruhrgebietskultur deswegen so selten in den Medien auftauche, weil das regionale Angebot einfach viel zu umfangreich sei, worauf Siemes mit einem Beispiel an den alten journalistischen Grundsatz erinnert, dass nur schlechte Nachrichten gute Nachrichten seien: „Ich glaube nicht, dass sie so oft in den Feuilletons vorkommen wollen, wie die Stadt Berlin. Die kriegen doch ständig nur Haue.“