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Archiv-Artikel

Bühne frei für den Abkassierer

Letzter Verhandlungstag des Jahres im Kölner Müllskandalprozess. Die Botschaft, die „Kronzeuge“ Ulrich Eisermann dem Gericht vermittelt, ist einfach: Die Politik ist verdorben, er Opfer der Umstände

von PASCAL BEUCKERund FRANK ÜBERALL

Ein Hauch deutscher Amtsstube weht durch den Raum. Ulrich Eisermann weiß, wie er es sich heimelig macht. Alles muss seine Ordnung haben, das hat er bei der Kölner Stadtverwaltung gelernt. Beinahe liebevoll zieht der 59-Jährige seine in Pergamentpapier eingewickelte Vollkornstulle aus der schwarzen Aktentasche, holt noch einen Apfel und eine Banane heraus und drapiert sein kleines Fresspaket kunstvoll vor sich auf dem Tisch. Seinen mitgebrachten blauen Ikea-Plastikbecher füllt er mit Mineralwasser.

Jetzt kann es losgehen, jetzt ist er bereit. Ja, der frühere Leiter des städtischen Hauptamts und spätere Geschäftsführer der städtischen Abfallentsorgungs- und Verwertungsgesellschaft AVG geht stets gut vorbereitet in die Verhandlungstage im Müllskandalprozess. Heute findet vor der 14. Großen Strafkammer des Kölner Landgerichts der letzte Prozesstag in diesem Jahr statt.

Das soll also die Schlüsselfigur in den schmutzigen Kölner Müllgeschäften sein? Der, der die Fäden beim Bau der Kölner Müllverbrennungsanlage und auch noch danach zog, dabei wie eine Spinne im Netz nur auf die nächste „Provision“ wartend? Der, der sich mit seinen Kumpanen vom Korruptionskartell mit Vorliebe in Luxusrestaurants traf und die abkassierten Millionen Euro im Sportwagen versteckte?

Das Bild des edlen Ritters

Auch wenn es bei seinem Anblick im Gerichtssaal kaum zu glauben ist – es handelt sich keinesfalls um eine Verwechslung, dieser Inbegriff eines deutschen Bürokraten und der schillernde Millionen-Uli sind ein und dieselbe Person.

Und Eisermann ist ein großer Geschichtenerzähler. Denn im Gegensatz zu den Aussagen der mitangeklagten Norbert Rüther, Ex-SPD-Ratsfraktionschef in Köln, und Sigfrid Michelfelder, Ex-Manager beim Gummersbacher Anlagenbauer Steinmüller, haben seine Erzählungen über die große, weite Schmiergeldwelt und das kleine kölsche Politbiotop, die er stets mit finsterer Miene und ruhiger Stimme detailreich wie launig zum Besten gibt, einen nicht zu unterschätzenden Unterhaltungswert. Akribisch erinnert er sich an Treffen und Verhandlungen mit den diversen „Häuptlingen“ von Parteien und Unternehmen in Gaststätten und Hotels mit Namen wie „Zum Storchen“ oder „Zur roten Lerche“. Und geradezu genüsslich lässt er immer wieder geschickt zwischendurch den ein oder anderen mehr oder weniger prominenten Namen fallen.

Die schlichte Botschaft, die er dem Gericht vermitteln will: Die Politik ist verdorben. Und die Wirtschaft auch. Der skrupellose Abkassierer will sich als edler Ritter erscheinen lassen, der sich lange tapfer den Feuer speienden Drachen entgegenwarf, bis er letztlich doch in ihren Flammen umkam: „Die Selbstverständlichkeit, mit der in der Wirtschaft mit solchen Provisionszahlungen gehandelt wurde, ließ mich kapitulieren.“

Der vorsitzende Richter Martin Baur bescheinigt Eisermann zu Recht eine „Ausdrucksweise, die sehr plastisch, sehr greifbar ist“. Dazu gehört, dass der graue Bürokrat einen Hang zur bunten Sprache hat. Da erscheint der Ex-Regierungspräsident Franz-Josef Antwerpes als „die Diva von der Zeughausstraße“. Aus dem SPD-Strippenzieher, Stasi-Spitzel und Mitabzocker Karl Wienand wird das „Karlchen“, der immer viel „vor allem aus der Historie“ erzählt habe. Dem Viersener Müllmogul und seinerzeitigen AVG-Mitgesellschafter Hellmut Trienekens bescheinigt er „ein bisschen die Menschenfischerart von Herrn Rau“.

Über den Ex-Oberstadtdirektor Lothar Ruschmeier weiß er zu berichten: „Zwischen ihm und dem lieben Gott waren nur maximal drei Millimeter Luft – ich weiß nur nicht, ob nach oben oder unten.“ Und auf ihm vorgehaltene Kritik der städtischen Rechnungsprüfer an der Überdimensionierung der Kölner Müllverbrennungsanlage (MVA) erwidert er: „Die Hinterherwisser vom Rechnungsprüfungsamt sind ja immer schlauer.“

Nein, ein „Hinterherwisser“ ist Ulrich Eisermann nicht. Er wusste schon immer alles besser. Daran lässt er in seinen Ausführungen vor Gericht nicht den Hauch eines Zweifel. So ist er selbstverständlich immer noch unerschütterlich der Auffassung, beim Bau der Kölner Müllverbrennungsanlage eigentlich alles richtig gemacht zu haben: „Die Qualität der Anlage kann sich sehen lassen!“ Sogar sein großes Abkassieren von Steinmüller will er so perfekt gemanagt haben, dass dabei „per Saldo ein Gewinn“ für die AVG herausgesprungen sei.

Die Selbstgerechtigkeit, mit der er seine Anekdoten über die böse Politik und den guten Amtmann präsentiert, ist beeindruckend. Ein edler deutscher Beamter, der ein Opfer der Verhältnisse geworden ist – das ist das Zerrbild, das der Ex-Müllmanager von sich zeichnet. Und vieles spricht dafür, dass er sogar selber daran glaubt.

Das richtige Parteibuch

Nur hat es nicht unbedingt viel mit der Wirklichkeit zu tun. Das wird erkennbar, wenn er zum Beispiel eingestehen muss, Akten vernichtet zu haben. Sie wurden nach dem Umzug der AVG in die Gebäude der gerade frisch errichteten Müllverbrennungsanlage 1997 einfach im Müllofen verbrannt. „Wenn Sie dutzende Akten und Kartons haben, dann müssen Sie aussortieren“, gibt er sich dann naiv. Auf die Idee, die Akten der Stadt zu übergeben, sei er „nie gekommen“.

Er habe doch nicht einfach sagen können, „die finde ich langweilig, die verheize ich jetzt“, hält ihm der Vorsitzende Richter Martin Baur fassungslos vor. Auch ansonsten zeichnen die Fakten ein anderes Bild: Danach war Eisermann keineswegs ein Geschädigter des politischen Pfründeverteilsystems, sondern Nutznießer.

Eisermanns Karriere beginnt in bewegten Zeiten. Aber mit denen hatte der junge Ulrich nichts am Hut. Während andere seiner Generation gegen den Schah von Persien, das Politestablishment und für den Sozialismus auf die Barrikaden gehen, schlägt er 1967 die Inspektorenlaufbahn beim Landschaftsverband Rheinland ein. Auch treiben ihn weniger Reformverheißungen à la Willy Brandts „Mehr Demokratie wagen“ in die Arme der Sozialdemokratie. Vielmehr weiß Eisermann, dass zu einer ordentlichen Beamtenkarriere das richtige Parteibuch gehört.

Von der CDU geschasst

In Köln und Umgebung ist es zu dieser Zeit halt das der SPD. Stolz verweist Ulrich Eisermann darauf, „immer zum frühestmöglichen Zeitpunkt befördert“ worden zu sein und es bis zum „höchstbezahlten Lebenszeitbeamten“ Kölns gebracht zu haben. Dann wechselt er auf Geheiß Lothar Ruschmeiers in die Geschäftsführung der AVG. Seine Karriere endet erst, als die Sozialdemokraten ihr rotes Fähnchen vom Kölner Rathausdach einholen müssen und ihm CDU-Oberbürgermeister Harry Blum den Rat gibt, aus „Gesundheitsgründen“ seinen Posten zu räumen.

Bis dahin hatte der Genosse allerdings bereits kräftig abkassiert – und kassierte auch nach seinem unfreiwillig-freiwilligen Abgang munter weiter. Als „Raubritter“ und „Wegelagerer“ bezeichnete Sigfrid Michelfelder zutreffend seinen Kumpanen bei der staatsanwaltlichen Vernehmung. Denn der Hobby-Jäger muss schier unersättlich gewesen sein: ein gnadenloser Abzocker, der genommen hat, wo immer er hat nehmen können.

Nicht nur die geschmierten fünf Millionen Euro von Steinmüller steckte er bedenkenlos ein, er ließ sich darüber hinaus auch noch während und nach seiner Zeit als AVG-Geschäftsführer mit unzähligen wohldotierten „Beraterverträgen“ nicht nur von diversen Trienekens-Gesellschaften voll stopfen. Sie bescherten ihm zusätzlich zu seinem fürstlichen AVG-Gehalt weitere monatliche Einnahmen von bis zu 50.000 Euro.