: Blauer Fisch in Gefahr
SIZILIEN Die Fischer von Ragusa hoffen, dass die Europäische Union ihre Fanggebiete schützt. Die Lokalpolitiker setzen auf Massentourismus. Der wurde durch eine TV-Krimiserie ausgelöst
DER FISCHER GIOVANNI CONTI
VON MICHAELA NAMUTH
Giovanni und Roberto Conti sind Zwillingsbrüder. Der eine ist verheiratet und hat zwei Kinder, der andere ist ledig. Giovannis Frau kocht gut, deshalb ist er ein wenig dicker. Roberto ist noch auf Brautschau, deshalb ist er ein wenig dünner. Dennoch sitzen die Zwillinge seit 20 Jahren im selben Boot: Sie sind Fischer an der Südostküste Siziliens, in der Provinz von Ragusa, wo der Schriftsteller Andrea Camilleri seinen berühmten Kommissar Montalbano knifflige Mordfälle lösen lässt.
Eigentlich kommen die Brüder Conti aus dem rund 20 Kilometer entfernten Hafenort Donnalucata, doch jetzt werfen sie vor Pozzallo ihre Netze aus. Ihr Heimathafen ist hoffnungslos verschlammt. „Die Lokalpolitiker kümmern sich nicht um die Häfen. Jeder wirft seinen Müll vor die Molen“, schimpft Giovanni. Vor Pozzallo ist das Meer noch kristallklar. Die Zwillinge fangen im Winter vor allem Tintenfische und ab Mai Schwertfisch und Seezunge. Um überleben zu können, haben sie zu zweit eine Mini-Genossenschaft gegründet. In guten Monaten verdient jeder 3.000 Euro, in schlechten gar nichts.
Die Fischer mit kleinen Booten haben vor allem zwei Probleme. Das eine sind die Benzinpreise: Jede Fahrt aufs Meer kostet rund 200 Euro. Das andere ist die Konkurrenz von Fangkuttern, die sich oft nicht an die europäischen Fischereigesetze halten. „Obwohl es verboten ist, rechen sie den Meeresboden ab. Dabei zerstören sie die Eier und für uns die kommende Saison“, schimpft Giovanni. Er kennt viele Fälle, in denen die Fischer EU-Gelder für die Umwandlung dieser Fangrechen in normale Netze eingestrichen, aber nichts an ihrer Technik geändert haben. Auch die Laichzeiten werden oft nicht respektiert. Das hat verschiedene Gründe: Zum einen kümmern sich die Lokalverwaltungen kaum um die Kontrollen und zum anderen zahlt die Region Sizilien den Ausfall erst nach drei Jahren.
Dabei erhält die rechtsgerichtete Regionalverwaltung nicht unerhebliche EU-Zuschüsse, um die Fischerei zu fördern. Eine der jüngsten, von EU, Fischereiverbänden, Region und Kommunen der Provinz Ragusa subventionierten Initiativen heißt „Azzurro Mediterraneo“ (www.azzurromediterraneo.it) und soll einen neuen Tourismus an der Küste lancieren, der den „pesce azzurro“, die Fischer und die Gastronomie der Küste fördern soll. Der einst als Arme-Leute-Essen verpönte „blaue Fisch“ soll aufgewertet werden. In der Tat können Sardinen, Makrelen, Schwertfisch und die sizilianischen „sauri“ genauso schmackhaft zubereitet werden wie die kostspieligeren „weißen Fische“ – unter anderem Barsch, Dorade, Brasse und Seezunge – und sind dank des hohen Omega-3-Gehalts mindestens so gesund. Und der blaue Fisch ist in Sizilien so preiswert, dass man sich im Urlaub mal so richtig daran sattessen kann: Auf dem Fischmarkt in Scoglitti wird ein Kilo gemischter Fisch aus Makrelen, Merluzzo und Garnelen für fünf bis zehn Euro das Kilo gehandelt.
Fischer Giovanni bezweifelt allerdings, dass das Meer noch lange Zeit so großzügig sein wird, wenn es nicht endlich etwas geschont wird. „Wir können das Meer nur retten, wenn wir die europäischen Gesetze einhalten“, sagt er. Er glaubt jedoch nicht daran, dass dies je geschehen wird. Die Idee der Initiative „Azzurro Mediterraneo“, Touristen auf das Fischerboot mitzunehmen, um die Ausfälle während der Laichzeit zu kompensieren, findet er deshalb richtig und gut. Die Gäste können beim Fang dabei sein und das Leben und die Küste mal aus der Fischerperspektive sehen.
Auf hoher See ist nur noch die Festlandspitze mit dem Leuchtturm zu erkennen. Hier auf der Punta Secca steht die Villa Marinella, wo Salvo Montalbano sein Unwesen treibt. Der „ispettore“ ist den Italienern vor allem als TV-Kommissar ein Begriff. Hierzulande kennt man ihn aus vier Folgen, die im ZDF gesendet wurden – und den Büchern des betagten Schriftstellers Andrea Camilleri. Die sizilianische Provinz als Krimi-Tatort ist für Touristen auf jeden Fall eine aufregende Sache. Deshalb hat die Bar auf Punta Secca ein paar Plastiktische vors Lokal gestellt und nennt sich „Café Montalbano“.
Auch im Landesinneren wird der Montalbano-Mythos weitergesponnen, vor allem in Ragusa Ibla und Scicli. In der Osteria „La Rusticana“ in Ibla lässt sich der Kommissar im Film sizilianische Spezialitäten servieren – viele Touristen machen es ihm nach. In Scicli verlangt der Topfflicker Geld, wenn er mit einem redet, weil er in einer der Sendungen zu sehen war. Der Filmtourismus ist für die Provinz Ragusa ein gutes Geschäft. Die Zahl der Touristen hat sich in den letzten Jahren verfünffacht. Doch wenn die Welle verebbt, muss die Tourismusbranche wieder auf die alten Sehenswürdigkeiten setzen. Davon gibt es genug. Gleich hinter Montalbans Kommissariat, in Wirklichkeit das Rathaus von Scicli, liegt die Via Francesco Morino. Sie wurde von der Unesco in die Liste der Schätze der Menschheit aufgenommen und gehört zu den schönsten Barockstraßen der Welt.
Wer weiter auf den Spuren barocker Baukunst wandeln will, kommt auch in Vittoria, Ragusa und der Schokoladenstadt Modica auf seine Kosten. Die Provinz Ragusa ist eine reiche Gegend mit einem Pro-Kopf-Einkommen auf dem Niveau der norditalienischen Stadt Bergamo. Die Mafia ist weniger sichtbar als woanders. Die Landwirtschaft und auch der biologische Anbau florieren. Die besten Kirsch- und Datteltomaten kommen aus dieser Gegend, die im Frühjahr so grün ist wie eine „irische Wiese“ – behauptet zumindest ein Reiseführer. Deshalb gibt es hier auch Kühe und eine antike Käsetradition. Carmelo Dipasquale ist noch einer der letzten Käser, die den typischen ragusanischen Cacciocavallo in Grotten reifen lassen. Zum Aufhängen benutzt er Seile aus Yucca. Dafür gibt es allerdings nur noch einen Hersteller. „Wenn der stirbt, ist es auch mit dem echten Cacciocavallo vorbei“, so Dipasquale.
Für den Cacciocavallo und die ganze Gegend werden neue Zeiten anbrechen. Auf ganz Sizilien gibt es heute so gut wie keine Lokalverwaltung, die nicht der Berlusconi-Koalition untersteht. Die neuen Herren krempeln alles um. Auf der ehemaligen Militärbasis von Comiso, wo sich in den 80ern italienische Kriegsgegner mit der Polizei heftige Schlachten um die Stationierung der Pershing-Raketen lieferten, wurde ein neuer Flughafen gebaut. Dieser sollte eigentlich den Namen von Pio La Torre, einem von der Mafia ermordeten KPI-Politiker, tragen. Das haben die neuen Verwalter verhindert. Ihre nächsten Ziele sind ein Golfplatz und 18.000 neue Hotelbetten. Man hofft auf „externe Investoren“, sprich auf Hotelketten. Zu befürchten ist, dass es diese auf die Strände abgesehen haben, wo sowieso schon wild gebaut wird.
Das Meer, die Fischer und der blaue Fisch sehen deshalb einer ungewissen Zukunft entgegen. Auch Giovanni macht sich wenig Illusionen. „Wir kleinen Fischer werden bald verschwinden“, sagt er. Hin und wieder fahren die Zwillingsbrüder schon mal kleine Touristengruppen aufs Meer hinaus. Sie bereiten sich schon vor – auf die neue Zeit.