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schwarze unter nazisKonstante Vorurteile

„Ich bin ein reinrassiger, in Togo geborener Afrikaner und, in meinem 3. Lebensjahr nach Deutschland kommend, von einem rein arischen kinderlosen Ehepaar als Pflegesohn angenommen worden.“ Das schreibt 1934 der schwarze Pianist Kwassi Bruce in einer Eingabe an die Kolonialabteilung des Auswärtigen Amts in Berlin. Zudem lobt er, dass die Rassenfrage endlich geklärt sei.

Ein schwarzer Nazi? Das war Kwassi Bruce sicher nicht. Eher ein Mensch, der geschickt die Vorurteile seiner weißen Umwelt aufgriff, um desto wirkungsvoller auf die Lage der Schwarzen in Nazi-Deutschland aufmerksam zu machen. Und die war laut Bruce verzweifelt, denn: „Seit Beginn der nationalen Regierung haben wir Farbigen, soweit wir als Arbeitnehmer unseren Lebensunterhalt fanden, fast ausnahmslos unsere Stellungen bzw. unsere Engagements verloren und es ist uns nicht möglich … neue Beschäftigungen zu bekommen.“

Kwassi Bruce ist einer der etwa 3.000 Menschen mit schwarzer Hautfarbe, die in den 30er- und 40er-Jahren in Deutschland leben. Viele von ihnen sind bereits in Deutschland geboren, ihre Eltern waren aus den ehemaligen afrikanischen Kolonien ins „Mutterland“ gekommen, andere stammten aus den USA oder Großbritannien. Mit Hitlers „Machtergreifung“ wurden auch sie, neben Juden, Sinti und Roma, zu Opfern des Rassenwahns der Nazis.

Erst seit wenigen Jahren ist dieses Kapitel deutscher Geschichte endlich ins Blickfeld der Historiker gerückt. Ein erstes Ergebnis war die Ausstellung „Besonderes Kennzeichen: Neger – Schwarze im NS-Staat“, die vor zwei Jahren im NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln gezeigt wurde und demnächst hoffentlich auch in anderen Städten Deutschlands zu sehen sein wird. Nun liegt endlich der Begleitband zu dieser Ausstellung vor. Mit vielen, teils unbekannten Fotos und ausgiebig zitierten Quellentexten. Dieser beinahe 800 Seiten starke Band ist die wahrscheinlich umfangreichste Darstellung der Geschichte der „Schwarzen im Nationalsozialismus“.

Besonders anrührend sind die Einzelschicksale, die in diesem Band dokumentiert sind: ihr Alltagsleben, ihre politischen Taten, die Leiden der schwarzen Kriegsgefangenen in deutschen Lagern und der schwarzen Deutschen, die wegen „Rassenschande“ ins KZ kamen; ihre Versuche, Widerstand zu leisten oder einfach irgendwie zu überleben, etwa als Komparsen in rassistischen Kolonialfilmen.

Darüber hinaus werden ausführlich die rassistischen Diskurse jener Zeit analysiert, die ja keineswegs erst von den Nazis erfunden wurden. Ein Beispiel ist die Kampagne gegen die sog. schwarze Schmach – gegen die Anwesenheit afrikanischer Kolonialsoldaten im französisch besetzten Rheinland nach dem 1. Weltkrieg, von denen zu Unrecht behauptet wurde, sie würden massenhaft deutsche Frauen vergewaltigen.

Dieses propagandistische Zerrbild vom wilden, triebhaften „Neger“ prägte die Vorurteile der Deutschen nachhaltig, und die Nazis brauchten da nur anzuknüpfen. Auch nach 1945 existierten derartige Vorurteile ungebrochen. Noch in den Fünfzigerjahren erwog beispielsweise das Innenministerium der jungen Bundesrepublik allen Ernstes die „Verschickung“ von Kindern, die aus Beziehungen zwischen schwarzen amerikanischen G.I.s und deutschen Frauen hervorgegangen waren, nach Westafrika.

Dass dies alles keineswegs Geschichte ist, wird im letzten Kapitel angedeutet. Kommentarlos werden hier Fotos mit rassistischen Schmierereien und Zeitungsausschnitte aneinander gereiht, die von Überfällen auf Schwarze berichten. Zum ersten Mal seit dem Ende der NS-Herrschaft sind heute wieder in Deutschland Gesundheit und Leben von Schwarzen bedroht. URSULA TRÜPER

Peter Martin und Christine Alonzo (Hg.): „Zwischen Charleston und Stechschritt. Schwarze im Nationalsozialismus“. Dölling und Galitz, Hamburg 2004. 760 Seiten, 480 S/W-und Farbabbildungen, 29,80 Euro

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