: „Die alte Republik ist noch nicht tot“
Der Grafter
Der „Aufpfropfer“, das ist Wolfram Putz, 36. Gemeinsam mit seinen Kompagnons Thomas Willemeit, 36, und Lars Krückeberg, 37, gründete er das zurzeit angesagteste Architekturbüro in Los Angeles. Seit vier Jahren führen sie ein Leben zwischen Hollywood und Mitte, zwischen Wagemut und Bewahrertum. In Berlin tüfteln sie in einer ausgedienten Plattenbau-Kita, in L. A. in einer alten Eisfabrik im Drogenmilieu. Privat leben die drei Norddeutschen gemeinsam in zwei WGs auf zwei Kontinenten. Seit ihr erster Kunde zufällig Brad Pitt hieß, geht’s steil bergauf.
INTERVIEW R. LAUTENSCHLÄGER UND A. WOLTERSDORF
taz: Für wen baut Graft eigentlich?
Wolfram Putz: Für Menschen, die neugierig sind, die selber mitdenken wollen. Für solche mit dem Wunsch, die Welt kennen lernen zu wollen …
… und für solche, die es nicht stört, dass die Badewanne im Schlafzimmer steht?
Wir schlagen neue Rituale vor. Zum Beispiel bei dem Berliner Hotel Q! am Ku’damm. Das ist ein topologisches Modell, Leben auf den Wänden, orientiert an der Natur und an aktuellen Diskussionen in Berlin. Das Leben im Hotel ist ja ein Wohnen in einer Zeitblase. Und wir schlagen dem Gast vor, mal zu experimentieren. Ob er das in seinem Alltag tun wollte, bleibt ihm überlassen. Aber ein Hotel bietet eine geliehene Identität außerhalb des Alltags an. Wir hatten dem Bauherren noch radikalere Dinge vorgeschlagen, aber dann hieß es, nee, das Klo muss schon abgetrennt sein.
Sie sind drei, leben zusammen in einer WG, auf zwei Kontinenten. Wie arbeiten Sie?
Wir wollen gar nicht nobel residieren. So was wie dort und die Platte hier hält uns wach. Das entspricht auch den flachen Hierarchien des Büros. Jeder kann sich hier einbringen. Jeder kann probieren. Uns gemeinsam interessiert der Weg genauso wie das Ziel.Wir kennen uns einfach alle ziemlich gut.
Und die Egophasen?
Haben wir schon überwunden. Und wenn einer mal einen Durchhänger hat, reißen ihn die beiden anderen mit. Unsere Ideen kommen aus verschiedensten Quellen. Lars, der gerade unser Büro in Los Angeles betreut, ist unser großer Kenner der Kunstgeschichte. Thomas, der gerade Vater geworden ist, schöpft stark aus Musik. Die haben wir früher intensiv zusammen gemacht.
Sie haben auch mal einen A-cappella-Chor gegründet.
Ja, früher haben wir viel zusammen gesungen, semiprofessionell. Das machen wir heute auch noch, aber weniger. Wir schöpfen aus weiten Parametern.
Gibt es einen roten Faden, der sie gedanklich zusammenhält?
Wenn überhaupt, dann ist es eben grafting, das Pfropfen. Zusammenführen scheinbarer Gegensätze. Das ist eine Einstellung, in der wir uns hoffentlich auch noch mit 65 programmatisch wiederfinden können. Wie sich das heute formal ausdrückt, ist nur eine Phase.
Sie machen also Karriere mit einem Prinzip statt mit einem Stil?
Ja. Es ist eine Methode. Ich würde auch gerne mal mit Gelsenkirchener Barock experimentieren, das finde ich gar nicht schlimm.
Sie sind als Architekten in Los Angeles gestartet – und zwar gleich ganz oben. Wie geht so was?
Wir sind mit dem DAAD hingegangen, was so eine Art verlängerter Kindheit war. Jeder von uns hatte schon einmal für bekannte Architekten wie Libeskind oder Gerkan gearbeitet, nicht aber für sich selbst. Wir hatten Glück. So viel toller als andere waren wir nämlich auch nicht. Ich glaube, es war unser Charme und unsere Begeisterung, so eine gewisse Lust auf Abenteuer.
Okay, das reicht natürlich völlig, um gleich „Hollywoods hotest new architects“ zu werden.
Na ja, und wir hatten gleich zwei gute Bauherren mit einem gewissen öffentlichen Wiedererkennungswert.
Sie haben eine alte Eisfabrik in L. A. gemietet, den norddeutschen Charme ausgepackt und auf Brad Pitt gewartet?
Ja. Projekt Nummer eins war unsere Visitenkarte, Projekt Nummer zwei ein Theorieartikel in einer Schweizer Architekturzeitschrift. Und unser drittes Projekt war dann der erste echte Bauauftrag. Der kam von Brad Pitt.
Mit wem mussten Sie schlafen?
L. A. ist eigentlich ein Riesendorf. Der Kontakt lief über eine Freundin. Deren Familie hat eines der größten Baugeschäfte dort. Die bauen die Villen für die Stars. Und manchmal können sie auch wen vorschlagen. Eigentlich ist das eine Hippiekommune aus den Sechzigern. 150 Leute, die in einer Art Riesen-WG leben. Ursprünglich kamen die aus der Folkmusic-Bewegung. Die Stars schmücken sich ja gern mit kuriosen Charakteren, solchen, nicht aus der klassischen Geldwelt kommen.
Und – wie ist er denn so?
Beim ersten Mal haben wir noch darüber nachgedacht, wie wir uns anziehen. Aber schon beim ersten Treffen gab es komischerweise sofort so ein „Klick“. – Wir machen bis heute Sachen für Brad Pitt und sind mittlerweile mit ihm befreundet. Das liegt vielleicht daran, dass er aus sehr einfachen Verhältnissen kommt und einfach ein Midwestern-Kid geblieben ist. Uns Deutschen ist andererseits diese Heldenverehrung ausgetrieben worden. Das passt einfach.
Für Tom Cruise haben sie auch mal gearbeitet.
Den triffst du gar nicht, nur seine Assistenten. Brad dagegen genießt es sehr, mal über etwas anderes zu reden, von dem er auch Ahnung hat.
Wollte er bei den Planungen immer dabei sein?
Er ist ein größerer Perfektionist, sozusagen ein typischerer Deutscher, als wir. Ihm fehlen ein bisschen die handwerklichen Fähigkeiten, weil er kein Architekt ist, aber er ist sehr intuitiv und er entwirft dann im Büro einfach mit. Er hat überhaupt keinen Bildungsdünkel, aber ständig neue Ideen. Der ist drei Monate auf Dreh und war mit Walhaien tauchen, und deswegen muss das nächste Haus aussehen wie ein Walhai.
In Berlin kann man höchstens im Karree bauen. Warum sind Sie hierher gekommen?
In unserem Berufsfeld ist Amerika ein viel angstfreierer Kontext. Interessanterweise bezieht man sich dort aber immer noch sehr stark auf das, was einmal aus Deutschland gekommen ist: Zum Beispiel das Bauhaus, als ein Versprechen der Moderne.
Profitieren Sie von diesem guten Ruf der einstigen Avantgarde?
Gemischt. Es gibt eine Art Grundkonsens, dass Europäer besser im Design sind, davor hat der amerikanische Durchschnittsbürger immer noch Komplexe. Die Erbschaft all dessen, was vor 33 an Musik, Kunst und Architektur aus Deutschland kam, ist ein Plus. Viele unserer Kunden gehören zur zweiten Generation des jüdischen Exils. Die haben noch ein unheimliches Interesse an dem, was aus Deutschland kommt.
Auf negative Deutschland-Assoziationen trifft Graft nicht?
In der Architekturszene kursiert immer noch das Bild dieser grausamen deutschen Tugenden – Fleiß, „man kann sich drauf verlassen“. Die großen Büros dort stellen deswegen am liebsten Deutsche oder Asiaten ein.
Sie sagten, in den USA sei ein angstfreierer Kontext. Heißt das umgekehrt, in Berlin überwiegt die Angst vor etwas Neuem?
In L. A. vermischt sich alles zu einem innovationsgeladenen Ambiente, in dem du immer Erfindertypen triffst. Und selbst der schlimmste Studioboss ist bereit, für neue Geschichten etwas zu riskieren. In Deutschland hingegen kommt die Angst aus der Sehnsucht nach Nostalgie. Das verlorene Deutschland soll wieder rekonstruiert werden. Besonders in Berlin spürt man das.
Sie sagen, weil hier so viel weggebombt wurde, baut man heute konservativ?
Ja, es dominiert die Bewahrungskultur und die resultiert in der Politik des Senatsbaudirektors Hans Stimmann. Es ist typisch, dass man die Lücken nur als Problem empfindet und nicht als Chance, Neues zu entwickeln. Diese konservativen Tendenzen sind in ihrer Ausschließlichkeit nicht nur schlimm, sie sind sogar schädlich für die Baukultur. Die ist in Berlin nicht pluralistisch und offen, und ich empfinde sie auch nicht als demokratisch.
Warum wollen Sie dann trotzdem mitbauen?
Wir sind ein Teil der Kultur Europas und Deutschlands. Das hat uns geprägt. L. A. ist im städtischen, persönlichen und beruflichen Leben einfach anders. Wenn wir nur das hätten, glaube ich, wären wir nicht glücklich. Bei der Rückkehr nach Deutschland war Berlin ganz klar.
Warum nicht andere Städte?
Wenn man etwas sucht, das mit der Welt spricht und nicht mit der Provinz, dann Berlin. Hier ist eine sich stark verändernde Gesellschaft, das reizt uns.
Dennoch scheinen Sie diese Dynamik bei dem, was Sie tun, kaum zu spüren, oder etwa doch?
Die alten Träger von Kultur in Berlin – etwa das jüdische Kapital, das modern baute, oder die kreative öffentliche Hand – gibt es nicht mehr. Ein Ersatz muss sich erst finden. Am Potsdamer Platz oder in Mitte haben Financiers, also graue Herren, gebaut, die unterstützen doch keine jungen Architekten. Es ist ein Generationenproblem, die alte Republik ist noch nicht gestorben. In den USA dagegen sind die Chefs oftmals kaum älter als wir.
Es fehlt also an junger Macht?
Genau. Zu viele Berliner leben zudem noch mit der Mauer-Mentalität. Der deutsche Michel ist halt nicht Garibaldi – er ist eine Schlafmütze. Es fehlt an neuen Identifikationsfiguren mit Strahlkraft.
Was genau ist in Berlin baumäßig alles in den Sand gesetzt?
Es ist die Masse, das städtebauliche Regelwerk. Das ist ein Korsett. Alle müssen mit Stein bauen, keiner darf anders aussehen. Ich glaube, wir müssen dahin zurückkehren, dass in Berlin wieder transparente Entscheidungsprozesse stattfinden. Und es muss endlich Wettbewerbe für die Architektur geben.
Haben Sie denn kein wirkliches Hassobjekt?
Ach, viele. Zum Beispiel alle späten Kollhoff-Bauten. Aber darum geht es nicht. Es kann aber nicht sein, dass ein architektonisches Diktum den Pluralismus verhindert.
Ist es nicht ein wenig irre, gleich zu Beginn einen solchen Erfolg zu haben? Da dreht man doch durch, oder?
Der Schritt, zum Dieter Bohlen der Architektur zu mutieren, ist nicht groß. Diese Gefahr sehen wir. Man kann gerade in den USA sehr schnell und erfolgreich Architektur machen. Aber das interessiert uns nicht. Nachdem wir ein, zwei Jahre nur solche Lifestyle-Aufträge hatten, haben wir uns gesagt, so sind wir nicht, unsere Palette ist größer. Trotzdem kann man es mit solchen Bauherren wie Brad Pitt ruhig ein paar Jahre aushalten.