: Ja, sie sind Helden
GLEICHBERECHTIGUNG Im „Heroes“-Projekt in Berlin-Neukölln werden junge türkisch- und arabisch- stämmige Männer ausgebildet, in Schulworkshops für die Gleichheit von Mädchen und Frauen und gegen Unterdrückung im Namen der Ehre zu kämpfen
■ Im Jahre 2005 wurde die junge Deutschkurdin Hatun Sürücü in Berlin wegen ihres westlichen Lebensstils von Familienmitgliedern ermordet. Nun ist nicht weit vom Tatort entfernt ein Projekt gegen Frauenunterdrückung und „Ehren“-Morde entstanden. In einem einjährigen Training mit Spaßfaktor bildet „Heroes“ junge migrantische Männer zu „Helden der Gleichberechtigung“ aus. Ein- bis zweimal in der Woche treffen sich 16- bis 21-Jährige mit dem palästinensischen Psychologen Ahmad Mansour und dem türkischstämmigen Theaterpädagogen Yilmaz Atmaca. Sie diskutieren über Gleichberechtigung und Demokratie, entwickeln Rollenspiele, grillen und chillen zusammen. Nach Abschluss des Trainings halten sie selbst Workshops in Schulen und Jugendeinrichtungen ab. Getragen wird das Projekt vom Verein Strohhalm. Das Team wird von der „Childhood“-Stiftung bezahlt, gegründet von der schwedischen Königin Silvia. USCHE
AUS BERLIN UTE SCHEUB
Was ist Ehre?“, will Gökay wissen und sieht im Klassenzimmer umher. Schaut in zwanzig ratlose Gesichter. Die Jungs kichern, die Mädchen, zur Hälfte verschleiert, senken den Blick. „Ehre … na ja …“ Die 12- und 13-Jährigen haben sichtlich Mühe, das den Männern da vorne zu erklären.
Die türkischstämmigen Abiturienten Gökay und Okcan, ausgebildete „Helden der Gleichberechtigung“, halten einen Workshop in einer sechsten Klasse in Berlin-Neukölln ab. Migrantenanteil der Klasse: 98 Prozent. Türken, Araber, libanesische Kurden, Roma. Die Eltern, oftmals Flüchtlinge ohne festen Aufenthaltsstatus, können ihren Kindern keinen geregelten Alltag vorleben und schicken sie in Koranschulen, in denen sie lernen, „Ehre“ sitze zwischen den Beinen einer Frau.
Gökay und Okcan gehören zu den ersten sechs jungen Männern, die im März ein Abschlusszertifikat des „Heroes“-Projekts erhalten haben. Seitdem ziehen sie mit Workshops und Rollenspielen durch die Schulen und verdienen sich damit sogar ein kleines Honorar. „Heroes“-Projektleiterin Dagmar Riedel-Breitenstein glaubt, dass ihr Auftreten überzeugender ist als alle Moralpredigten deutscher Erwachsener: „Es gibt eine schweigende Mehrheit unter den jungen Migranten, die Gewalt ablehnt. Die können wir gewinnen. Aber sie brauchen Vorbilder.“ Der palästinensische Psychologe Ahmad Mansour begleitet die beiden Vorbilder Gökay und Okcan in die Klassen und steuert den Workshop mit sanfter Hand.
„Habe ich Ehre als Vater“, fragt der Psychologe die Jugendlichen, „wenn ich meiner Tochter zu enge Hosen oder das Ausgehen verbiete? Wenn ich sie schlage, falls sie nicht gehorcht?“ Ja, finden die meisten, die Mädchen stimmen sogar noch deutlicher zu als die Jungen. Ihre Schleier sind tief heruntergezogen, doch ihre Klamotten knalleng – der Widerspruch fällt ihnen wohl nicht einmal auf. „Was macht ein schlechtes Mädchen aus?“, will „Heroe“ Gökay wissen und notiert die Antworten an der Tafel: Rauchen. Alkohol. Kurze Röcke. Lange draußen sein. Keine Jungfrau sein. „Wieso dürfen Jungen mehr als Mädchen?“, fragt Ahmad Mansour. „Sie sind stärker“, ruft einer. „Jungen sind Bodybuilder!“, schreit ein anderer. „Schlampen muss man klatschen“, befindet ein Dritter.
„Das war die schwierigste Klasse, die wir bisher hatten“, befindet der Psychologe später. „Normalerweise pochen die Mädchen auf ihre Rechte, und die Jungs schließen sich ihnen irgendwann zögernd an. Aber die hier waren so religiös …“ Da hilft nur noch Rollenspiel. Zuerst spielen die „Heroes“, dann die Jugendlichen – was ihnen sichtlich mehr Spaß macht als reine Rederunden. Es geht um Familienkonflikte. Um Freiheit und Ausgehen. In der ersten Szene wird die Tochter mit Gewalt heimgeholt, in der zweiten erlaubt ihr der Vater alias Gökay den Kinobesuch. „Ich hab Vertrauen zu dir“, erklärt er der fiktiven Tochter. „Ist Vertrauen besser als Kontrolle?“, fragt Ahmad Mansour. Ja, doch, selbst die Mädchen nicken vorsichtig. „Darf man seine Kinder schlagen? Seine Frau? Seine Schwester?“, forscht der Psychologe. Die Jungen kichern. „Das ist doch meine Schwester!“, befindet einer. „Kleine Schläge!“, fordert ein anderer. Die Mädchen schauen zu Boden. Und schon ist das halb gewonnene Terrain wieder halb verloren.
Ein zäher Kampf. Hin und her wogt er, und die „Helden“ fechten tapfer in der ersten Reihe. „Wie erreichen wir Gleichberechtigung? Was könnt ihr als neue Generation tun?“, fragt Gökay. Und ist froh, dass er kurz vor Schluss an die Tafel notieren kann: Vertrauen. Respekt. Friedliches Miteinander. „Habt ihr heute was gelernt?“, will Ahmad Mansour wissen. „Hmm“. – „Weiß nicht.“ Doch, sagt einer: „Ehre ist mehr Freiheit für die Mädchen“. Der Psychologe lächelt. Immerhin. Aber neues Nachsetzen ist wohl nötig. „Sollen wir wiederkommen?“ – „Jaa!“