: Studierende zahlen rückwärts
Sind Studiengebühren sozialverträglich? An der Privat-Universität Witten/Herdecke müssen die Studierenden erst zahlen, wenn sie das Studium absolviert haben. Das machen sie, ohne zu murren
VON BORIS R. ROSENKRANZ
Was einige Bundesländer nun geschwind durchboxen wollen, ist an der Universität Witten/Herdecke bereits seit zehn Jahren Usus: die Entrichtung von Studiengebühren. Mit dem Unterschied, dass die Studierenden in Witten nicht jedem Cent hinterher weinen, den sie an ihre Universität bezahlen. Ganz im Gegenteil: Sie loben ihr Gebühren-Modell sogar in hohen Tönen.
Das liegt vor allem daran, dass den Studierenden der Wittener Privat-Uni das Gebührensystem nicht aufgedrängt wurde. Als 1995 der „Umgekehrte Generationenvertrag“ entwickelt wurde, waren die Studierenden an dessen Ausarbeitung nicht nur beteiligt, sie entwarfen das System in eigener Regie. Für Malte Herzhoff, den Vorsitzenden der Studierendengesellschaft an der Uni, ist dies das Geheimnis des Wittener Gebühren-Erfolgs. Den Gram der staatlichen Studierenden über die Pläne einiger Bundesländer, nun Studiengebühren zu verlangen, kann er deshalb verstehen: „Es ist nicht sinnvoll, ein Modell aus der Schublade zu ziehen, ohne die Studierenden an dessen Planung zu beteiligen“, sagt er. So etwas könne nicht funktionieren.
Das Wittener System ähnelt dem australischen Modell „nachgelagerter Studiengebühren“, das auch die CDU in NRW favorisiert. Ein „Umgekehrter Generationenvertrag“ legt fest, dass erst nach dem Studium gezahlt werden muss – wenn der Absolvent in Lohn und Brot steht. Ab einem Jahres-Einkommen von 17.000 Euro muss jeder acht Prozent seines verfügbaren Einkommens an die Uni abführen; der besser verdienende Wirtschaftler mehr als die Pflegewissenschaftlerin, die weniger Geld auf dem Konto hat. Also nicht die soziale Herkunft ist ausschlaggebend, sondern die berufliche Zukunft. Gezahlt werden die Gebühren übrigens nicht an die Uni selbst. Die Absolventen überweisen das Geld direkt der Studierendengesellschaft. Von dort fließen die Mittel, die etwa sieben Prozent des gesamten Uni-Etats ausmachen, in Forschung und Lehre, kommen also unmittelbar den künftigen Akademikern zugute. „Wer nach Witten kommt, kann für sein Geld auch etwas verlangen: Kleine Seminare, eine bessere Ausstattung und motivierte Professoren“, weiß Herzhoff.
Im Streit um Studiengebühren an staatlichen Universitäten lautet das Hauptargument der Studierenden: Menschen aus ärmeren Elternhäusern können sich ein Studium, für das sie zahlen müssen, nicht leisten. Studiert in Witten also nur die gut betuchte Elite? Nur die Reichen, die vom Elternhaus mit durchgebracht werden? „Nein“, sagt Herzhoff, in Witten liege der Prozentsatz der BAföG-Empfänger nur knapp unter dem der Ruhr-Universität Bochum. Deshalb ist die Universität Witten/Herdecke für ihn der Beweis, „dass Studiengebühren sozialverträglich erhoben werden können“.
Nordrhein-Westfalens Wissenschafts-Ministerin Hannelore Kraft (SPD) sieht das anders: Ein Modell nachgelagerter Studiengebühren, das sozialverträglich sei, habe sie noch nicht gesehen. Auch Klemens Himpele vom Aktionsbündnis gegen Studiengebühren (ABS) ist gegen das Wittener Modell. „Weil ich den Bildungsbegriff ablehne, der damit zusammenhängt“, sagt Himpele. Hier würden nur Fächer angeboten, die „renditefähig“ seien, sprich: mit denen man später gut verdienen könne, zum Beispiel Medizin oder Wirtschaftswissenschaft. Seinen Studienplatz unter ökonomischen Gesichtspunkten auswählen zu müssen, findet Himpele aber unsinnig. Und dass man in Witten auch Philosophie studieren könne, sei bloß ein Luxus, den sich die Uni noch leiste.
Das Gütersloher Centrum für Hochschulentwicklung der Bertelsmann-Stiftung (CHE) spricht sich dagegen ausdrücklich für das Modell der nachgelagerten Gebühren aus. „Die fachliche Breite kann durch Studiengebühren spürbar verbessert werden“, sagt Ulrich Müller, Projektleiter im CHE. Durch die nachträgliche Zahlung würden außerdem nur jene zur Kasse gebeten, „die auch von ihrem Studium profitieren“. Wer zu wenig verdiene oder gar keinen Job bekomme, müsse nicht zahlen. Einziges Problem: Wer soll für die Nicht-Zahler aufkommen? „Da müsste man vielleicht die Hochschulen in Mithaftung nehmen“, sagt Müller. Also genau jene, die ohnehin über leere Kassen klagen. In Müllers Augen werden sich die Studiengebühren durchsetzen: „Mittelfristig wird es einen Sog in die Gebühren-Länder geben“, sagt er. Und nicht umgekehrt, wie es sich Wissenschafts-Ministerin Kraft verspricht: dass „die besten Abiturienten“ nach NRW kommen, nur weil studieren hier noch gratis ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen