: Teufelskreis Jobverlust
Arbeitslose sind häufiger krank – und Kranke finden häufig keine Arbeit. Um dieses Problem zu lösen, müssen die Arbeitsagenturen eine Gesundheitsvorsorge anbieten
Mit der Arbeitsmarktreform Hartz IV will die Bundesagentur für Arbeit vor allem die Beratung und Vermittlung von Arbeitslosen intensivieren. Vorrangiges Ziel ist die individuelle, umfassende und intensive Hilfe bei der Arbeitssuche.
Einer erfolgreichen Vermittlung steht allerdings häufig der schlechte Gesundheitszustand von Langzeitarbeitslosen im Wege. Nach Angaben der Bundesagentur ist hier einer von drei Betroffenen ernsthaft krank, noch vor 20 Jahren war es nur jeder fünfte. Daher ist es dringend erforderlich, die Gesundheit von Arbeitslosen zu fördern und so ihre Chancen zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt zu erhalten. Die Verbesserung der individuellen Lebenssituation hilft nicht nur den Betroffenen, sondern in Zeiten der Massenarbeitslosigkeit auch der Solidargemeinschaft, die die erhöhten Gesundheitskosten über höhere Versicherungsbeiträge trägt.
Arbeitslosigkeit macht krank: Empirisch belegt ist, dass neben dem Einkommen auch das Bildungsniveau und der soziale Status die Gesundheitschancen von Menschen beeinflussen. Insofern wirkt sich Arbeitslosigkeit auch direkt auf den Gesundheitszustand der Betroffenen aus. Wer seine Arbeit verliert, muss nicht nur einen erheblichen Einkommensverlust und damit eine Minderung seiner Lebensqualität hinnehmen, es geht ihm auch ein Sinn stiftender Teil des Lebens verloren. Vereinsamung, Existenzängste und das Gefühl, nicht mehr gebraucht zu werden, führen oft zu schweren Lebenskrisen. So sind arbeitslose Männer achtmal häufiger von psychischen Erkrankungen betroffen als Erwerbstätige und bedürfen doppelt so häufig stationärer Behandlung. Auch die Lebenserwartung Arbeitsloser ist geringer: Sie sterben im Durchschnitt sieben Jahre früher als Menschen mit Erwerbsbiografie.
Durch die Arbeitsmarktreform Hartz IV kann sich die persönliche Situation der Langzeitarbeitslosen weiter verschlechtern, da sich der Druck auf Alg-II-Empfänger verstärkt. Einerseits müssen sie in Zukunft mit weniger Geld zurechtkommen, andererseits wird der Beschäftigungsdruck durch die Verpflichtung zu „1-Euro-Jobs“ erhöht.
Menschen in diesen schwierigen Lebenslagen brauchen daher besondere Unterstützung, um den Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt zu schaffen. Unternimmt die Bundesagentur nichts für die Gesundheitsförderung der Betroffenen, ist die Solidargemeinschaft aller gesetzlich Krankenversicherten betroffen. Denn die Hartz-Reform bewirkt zwar auf der einen Seite eine Entlastung der Arbeitslosenversicherung, belastet auf der anderen Seite aber die Finanzierung des Gesundheitssystems. So erhalten die Krankenkassen seit dem 1. Januar 2005 für Langzeitarbeitslose statt der tatsächlichen Behandlungskosten nur noch einen monatlichen Pauschalbeitrag von 124 Euro. Damit lassen sich die realen Kosten aber schon jetzt nicht mehr decken. Und diese Lücke wird durch die gesundheitlichen Folgen von Hartz IV noch größer werden. So eröffnet die Arbeitsmarktreform einen weiteren Verschiebebahnhof, in welchem die Krankenversicherer als Ausfallbürge für leere öffentliche Kassen herhalten müssen.
Die Bemühungen um eine bessere Arbeitsvermittlung müssen daher auch bei der Gesundheit der Arbeitssuchenden ansetzen. Eine vorausschauende Gesundheitspolitik setzt an, gesundheitliche Beeinträchtigungen zu vermeiden und nicht erst zu warten, bis Menschen ernsthaft krank sind. Ein gesundes Lebensumfeld ist immer noch die beste Voraussetzung, um Krankheiten dauerhaft zu reduzieren. Doch gerade daran fehlt es vielen Arbeitslosen. Im schlimmsten Fall kann der Jobverlust dazu führen, dass ihre Beschäftigungsfähigkeit komplett verloren geht und sie schließlich dauerhaft als unvermittelbar gelten.
Um einen Ausweg aus diesem Teufelskreis zu finden, sind Arbeitsvermittler und Gesundheitsförderer aufeinander angewiesen. So liegt es im Interesse der Bundesagentur für Arbeit, die Gesundheit und damit direkt auch die Beschäftigungsfähigkeit der Arbeitssuchenden zu fördern. Die Krankenkassen haben ihrerseits ein Interesse daran, den Gesundheitszustand der Bevölkerung zu verbessern und dadurch auch Gesundheitskosten zu reduzieren.
Wie die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen, besteht allerdings eines der Hauptprobleme der gesetzlichen Krankenversicherer darin, Arbeitslose für Projekte der Gesundheitsförderung zu gewinnen. Die Vernetzung der Träger der Arbeitsvermittlung und Gesundheitsförderung kann hier sinnvoll vorhandene Kompetenzen bündeln. Während Träger der Arbeitsmarktintegration über notwendige Strukturen und Zugangswege zur Ansprache und Einbindung von Arbeitslosen verfügen, liefern die Krankenkassen das entsprechende Know-how für nachhaltige Gesundheitsförderung. Durch Kooperation können beide Akteure so höhere Beschäftigtenzahlen und einen besseren Gesundheitszustand der Bevölkerung erreichen.
Ein erfolgversprechendes Modell in Nordrhein-Westfalen erprobt zurzeit, wie ein solches Netzwerk funktionieren kann. Mit dem Ministerium für Wirtschaft und Arbeit NRW geht der BKK-Bundesverband im Rahmen seiner Initiative „Mehr Gesundheit für alle“ seit Ende 2004 gemeinsame Wege. In dem Modellprojekt werden motivierende Gesundheitsgespräche und eine gesundheitsorientierte Selbstmanagement-Beratung mit der Arbeitsvermittlung verknüpft. Die Arbeitsmarktberater versuchen, die am meisten gefährdeten Zielgruppen – hier allen voran Langzeitarbeitslose – für Angebote der Gesundheitsförderung zu motivieren. Individuelle Förderpläne, die spezifische Entwicklungsschritte und Möglichkeiten der Umsetzung für den Einzelnen beinhalten, werden erarbeitet. Die Maßnahmen werden dann von erfahrenen Gesundheitsanbietern durchgeführt. So bleiben persönliche Daten geschützt und die Teilnehmer können den Kontakt zu Menschen in vergleichbaren Lebenslagen knüpfen. Ziel ist es, das Gesundheitsbewusstsein und die Gesundheit von Arbeitslosen zu stärken und damit die Beschäftigungsförderung unterstützend zu begleiten.
Solche Netzwerke dürfen keine Ausnahmeerscheinung bleiben, sondern müssen bundesweit ausgedehnt werden. Gerade die im Zuge der Arbeitsmarktreform neu entstehenden Strukturen sollten bei der Organisationsentwicklung und Betreuungstätigkeit Aspekte der Gesundheitsförderung integrieren. Dabei können sie unter anderem auf langjährige, gute Erfahrungen aus der betrieblichen Gesundheitsförderung, die traditionell und allen voran die Betriebskrankenkassen gemacht haben, zurückgreifen.
Die massiven Veränderungen durch Hartz IV verunsichern viele Menschen. Durch schnelles und konzertiertes Handeln müssen die Verantwortlichen deshalb einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes von weiten Kreisen der Bevölkerung entgegenwirken. Wer die Beschäftigungsfähigkeit stärken will, darf an der Gesundheit nicht sparen.
K.-DIETER VOSS