: Ausverkauf im Freilichtmuseum
GESCHÄFTSSCHLUSS Im Zentrum Roms werden traditionelle Geschäfte durch billige Souvenirläden ersetzt. Bürger kämpfen für Gesetze zum Schutz der alten Infrastruktur
Viviana Di Capua
VON MARTIN HERZER
Giovanni Sicari hat ein Schild in das Schaufenster seiner Bücherei gehängt. Darauf steht: „Um deinen Kindern ein über 100 Jahre altes Geschäft zu zeigen, hast du weniger als 100 Tage Zeit“. Denn in drei Monaten läuft Sicaris alter Mietvertrag für seine Bücherei, die „Liberia Cascianelli“, aus. Für die Zeit danach hat ihm sein Vermieter eine saftige Mieterhöhung angekündigt: Statt wie bisher 1050 Euro will er dann 3.100 Euro pro Monat. „Zu viel für mich, massig Geld wirft mein Laden für historische Bücher nicht ab“, sagt Sicari. Wenn der Vermieter kein Einsehen hat, wird er seinen Laden schließen.
Damit würde Sicaris 1850 eröffnete Bücherei das gleiche Schicksal treffen, das in der letzten Zeit immer mehr alteingesessene Läden rund um Petersdom, Kolosseum und Spanische Treppe ereilt: Dort schießen die Mietpreise für Geschäftsfläche in exorbitante Höhen. Konsequenz: Viele der historischen Geschäfte – auf Italienisch botteghe storiche genannt – verschwinden aus dem Stadtbild.
Zahlreichen Römern passt diese Entwicklung überhaupt nicht: „Die botteghe sind ein Kulturerbe, das wir schützen müssen“, sagte Viviana Di Capua von der Einwohner-Vereinigung des historischen Zentrums. Ohne die alten Tischlereien, Hutgeschäfte oder Gießereien verarme Roms kulturelles Erbe: „Darüber hinaus verlieren wir handwerkliche Traditionen für immer“, fürchtet Di Capua.
Zudem ärgern sich die Bürger über die Nachfolger der alten Geschäfte: Wo eine historische bottega schließt, folgen meist auf den Fuß billige Souvenirgeschäfte für Touristen. Deren Betreiber sind in der Mehrheit nichtrömische Franchise-Unternehmer. Ihre Angestellten in den Läden, meist Menschen aus Südostasien, entlohnen sie nur schlecht. Alle Touristengeschäfte verkaufen das Gleiche: venezianische Karnevalsmasken und Römerrüstungen aus Plastik oder T-Shirts mit „I love Italy“-Aufdruck. Mit der historisch gewachsenen Identität Roms habe das wenig zu tun, schimpfen etliche Einwohner.
Das Problem ist in Rom noch aus einem weiteren Grund prekär: Die italienische Hauptstadt vermarktet sich weltweit als die Stadt der Geschichte, als riesiges Freilichtmuseum. Mit dem Marketing-Argument, dass in Rom massig authentische Historie im Original zu bestaunen sei, lockt die italienische Tourismusindustrie jedes Jahr Millionen von Gästen an. Mit der Authentizität und Originalität könnte es aber schnell ein Ende haben, wenn bald an jeder römischen Gassenecke die besagten T-Shirts und Rüstungen hängen. Irgendwann würden das auch die Touristen merken, argumentieren vor allem die Besitzer der botteghe storiche.
So auch Olimpia Bazzocchi. Sie steht in ihrem Hemdengeschäft in der Via del Tritone hinter einer schweren Ladentheke aus dunklem Holz. Die ließ ihr Großvater 1908, als er die „Camiceria Bazzocchi“ eröffnete, einbauen. Ein Jahr nach dem 100-jährigen Geschäftsjubiläum bangt die Enkelin nun um das ererbte Geschäft – ebenfalls wegen eines explodierenden Mietpreises. „Das Grundproblem ist, dass es in Rom anders als in anderen italienischen Städten keine Gesetze zum Schutz der historischen Läden gibt“, sagt Bazzocchi. Bürgervereinigungen und Ladenbesitzer fordern daher von der Kommune, alteingesessene Gewerbe per Gesetz zu retten: Sie verlangen Erlasse, die den Handel im Stadtzentrum reglementieren – etwa mit der Vorschrift, dass dort, wo beispielsweise ein Metzger auszieht, wieder ein Metzger und kein Touristenladen hinkommt. Oder mit Steuerbegünstigungen für traditionelle Läden und einem Verbot zu dreister Mieterhöhungen. Der rechte Popolo della Libertà um Bürgermeister und Ex-Faschist Gianni Alemanno regiert derzeit die römische Kommune. Diese hat grundsätzliche Bereitschaft für ein Gesetzesvorhaben zum Schutz der alten Geschäfte signalisiert – doch passiert ist bisher nicht viel.
Es sieht daher nicht gut aus für die botteghe storiche wie Giovanni Sicaris Bücherei. „Wenn wir aus unserem alten Laden rausmüssen, wäre das sehr traurig für uns“, sagt er, „aber es wäre doch auch traurig für Rom.“