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Archiv-Artikel

Die Kanzlerin aller Kraftwerke

ENERGIEWIRTSCHAFT Regierungschefin Angela Merkel stellt sich in fast allen Streitfragen auf die Seite der Konzerne. EU-Kommissionspräsident Barroso warnt vor neuer Gaskrise

„Deutschland hat die sichersten Kernkraftwerke“, sagt die Bundeskanzlerin

AUS BERLIN STEPHAN KOSCH

Das ist nicht nur eine Krise, sondern ein Alarm: Ein orangefarbener Lkw fährt vor den Hoteleingang, rund 50 Greenpeace-Aktivisten springen heraus, blockieren den Eingang mit gefakten Atommüllfässern, ketten sich daran fest und legen sich auf den Boden. Ein weiteres Team entert das Dach der Hotellobby. Eine Sirene in Originallautstärke sorgt für zusätzlichen Stress bei den Sicherheitskräften. Der erhöht sich noch, als sie erfahren, dass eines der Fässer radioaktiv verseuchte Erde aus einem Wald in Tschernobyl enthält. Diese mit Blei ummantelte Bodenprobe wollten die Aktivisten Bundeskanzlerin Angela Merkel überreichen, um so gegen den von der Industrie und CDU vorgesehenen Ausstieg aus dem Atomausstieg zu protestieren. Das Fass wurde jedoch schnell von der Polizei verschlossen und später mit einer Sackkarre abtransportiert, nachdem ein Feuerwehrteam es untersucht hatte.

So kann die Kanzlerin ohne ein schweres Fass im Gepäck ihre Rede vor der deutschen Energiewirtschaft beginnen. Und sie sagt viel, was den Branchenvertretern gefällt und die Protestler draußen auf die Straße getrieben hat. Sie spricht sich für eine Verlängerung der Laufzeiten von Atommeilern aus, denn „Deutschland hat die sichersten Kraftwerke“.

Neue Kohlekraftwerke, gegen die die Klimaallianz parallel zu Greenpeace mit 25 Aktivisten vor der Tür demonstrierte, müssten ebenfalls sein, auch weil neue energieeffiziente Kraftwerke ja Exportschlager seien. Und wer kauft schon eine Technologie, die die Deutschen selbst nicht wollen? Deshalb sollen die Vertreter der Kommunen mit einer Stimme reden und vor Ort nicht die Modernisierung des Kraftwerksparks verhindern, die ihre Verbände fordern.

Und auch bei der notwendigen Modernisierung der Netze setzt die Kanzlerin auf die Unternehmen. Die ursprünglich der von der EU geplanten Zwangstrennung der Leitungen von den Strom erzeugenden Konzernen hat die Bundesregierung bereits verhindert. Und staatliche Anteile an einer möglichen Deutschen Netz AG hält sie für unnötig. „Wenn er uns lässt, dann lasse ich Sie machen“, sagte sie mit Blick auf den EU-Kommissionspräsidenten José Manuel Barroso, der ebenfalls als Gastredner geladen war.

Dieser warnte vor einer neuen Gaskrise in Europa. „Wir befinden uns in einer schwierigen Situation“, sagte er vor dem Hintergrund eines sich anbahnenden neuen Gasstreits zwischen Russland und der Ukraine. „Wenn Russland das Gas abdreht, ist es sehr wahrscheinlich, dass auch die Europäische Union wieder betroffen ist.“ Deshalb habe er mit Regierungsvertretern über die Bereitstellung eines Notkredits an die Ukraine gesprochen. Zudem sei er in Gesprächen mit europäischen Gasfirmen, um einen Notfallplan auszuarbeiten.

Russische Vertreter hatten in den vergangenen Wochen die Erwartung geäußert, dass die Ukraine wegen ihrer wirtschaftlichen Probleme nicht in der Lage sein werde, die Rechnungen für Gaslieferungen zu zahlen.