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Archiv-Artikel

„Sonst ist die Kommission tot“

NS-RAUBKUNST Vor elf Jahren wurden die Washingtoner Prinzipien „für faire und gerechte Lösungen“ bei der Rückgabe geraubter Kunst erarbeitet. Doch passiert ist nicht genug

Gunnar Schnabel

■ Gunnar Schnabel, Jg. 1962, ist seit 1991 Rechtsanwalt in Berlin. Er hat viele Alteigentümer in Restitutionsverfahren vertreten. Zusammen mit der Historikerin Monika Tatzkow hat er das Handbuch „Nazi-looted Art. Kunstrestitution weltweit“ und „Berliner Straßenszene. Der Fall Kirchner“ verfasst.

INTERVIEW ROBERT SCHRÖPFER

taz: Herr Schnabel, in Prag findet derzeit die Nachfolgekonferenz der Washingtoner Konferenz statt. 1998 hatten sich dort 44 Staaten zu „fairen und gerechten Lösungen“ im Umgang mit NS-Raubkunst verpflichtet. Haben sich die Washingtoner Prinzipien bewährt?

Gunnar Schnabel: Ohne die Washingtoner Prinzipien gäbe es die Raubkunstdebatte und Rückgaben, wie wir sie heute haben, nicht. Insofern waren sie eine Initialzündung. Die Umsetzung aber ist nur äußerst schleppend in Gang gekommen. Länder wie Österreich oder die Niederlande haben sofort begonnen, ihre Bestände zu überprüfen und in großem Maßstab Rückübertragungen durchzuführen. Alle osteuropäischen Staaten dagegen verweigern sich. Es ist unerträglich, dass in polnischen Museen noch immer Bilder hängen, deren jüdische Eigentümer von den Nazis beraubt und ermordet wurden und die von Polen bis heute als enteignetes Nazi-Eigentum beansprucht werden.

Wie beurteilen Sie die Situation in der Bundesrepublik?

Deutschland hat 1999 eine gemeinsame Erklärung von Bund, Ländern und Gemeinden und 2001 eine Handreichung verabschiedet, die das Alliierte Rückerstattungsrecht zum Prüfmaßstab für Fallentscheidungen macht. Das heißt: Vom rechtlichen Gerüst her hat es sich vorbildlich verhalten. Hinreichend umgesetzt sind diese Bestimmungen jedoch nicht. Die Bundesländer, in deren Verantwortung sich die meisten Museen befinden, haben die Umsetzung unter dem Vorwand fehlender Mittel für Provenienzforschung hintertrieben.

Es gibt doch Provenienzforschung in nahezu allen großen Museen. Ist Verweigerung nicht eher der Einzelfall und nicht die Regel?

Wir reden über Sammlungen mit Millionen von Kunstobjekten. Wenn da das eine oder andere Museum eine Forschungsstelle mit einer Mitarbeiterin einrichtet, dann ist das so, als ob sie einen Heuschober betreten, so groß wie das Olympiastadion, und sagen: Jetzt suchen Sie mir mal die Nadeln heraus! Es ist unglaublich, wie spät und mit wie geringem Aufwand in Deutschland damit begonnen wurde.

Ist eine gesetzliche Regelung notwendig, um die Situation zu verbessern?

Ein Bundesgesetz würde nichts bringen, eben weil sich die meisten Museen in Landesbesitz befinden. Es müssten quasi 16 Landesgesetze geschaffen werden, und das funktioniert nicht: Gucken Sie sich die Situation beim Nichtraucherschutz an! Außerdem würde ein solches Gesetz dazu führen, dass ein Verwaltungsverfahren und ein Gerichtsverfahren zu durchlaufen sind. Aufgrund der Überlastung der Gerichte dauern solche Verfahren fünf bis sieben Jahre. So lange kann keiner der noch lebenden Alteigentümer warten. Auch ihre Erben sind mittlerweile älter geworden.

Nachdem eine als verschollen geltende Sammlung wertvoller Plakate in einem Berliner Keller gefunden wurde, klagte der Sohn des jüdischen Sammlers Hans Sachs auf deren Herausgabe. Das Berliner Landgericht entschied zu seinen Gunsten. Es widersprach damit der Empfehlung der Limbach-Kommission, die in Streitfällen eigentlich faire und gerechte Lösungen herstellen soll. Ist die gegenwärtige Praxis obsolet?

Das sehe ich nicht so. Die Washingtoner Prinzipien sind eine Selbstverpflichtung. Dadurch ist aber nicht ausgeschlossen worden – und das ginge auch gar nicht –, dass ein jüdischer Alteigentümer, der nach der gültigen Rechtsordnung seinen Eigentumsanspruch niemals verloren hat, sich sein Eigentum zurückholt. Eine Verjährung einzuwenden – darauf hat die Bundesrepublik in der Washingtoner Erklärung verzichtet. Beide Verfahren heben sich nicht auf, sie stehen nebeneinander.

Muss es dennoch Veränderungen in Bezug auf die Limbach-Kommission geben?

Absolut. Sie muss auch einseitig angerufen werden können. Ihre Entscheidungen müssen verbindlich für die Beteiligten sein. Und es muss eine Veröffentlichungs- und ausführliche Begründungspflicht für ihre Entscheidungen geben. Ansonsten ist die Kommission tot.

Haben Kritiker wie der Rechtsanwalt Peter Raue recht, wenn sie infolge des Sachs-Urteils eine Klagewelle auf deutsche Gerichte zurollen sehen? Auch der Kulturstaatsminister begründet seine Berufung gegen das Urteil mit dessen übergreifender Bedeutung.

Hier wird verkannt, dass die Sammlung Sachs eine absolute Ausnahme darstellt. Sie wurde 1938 beschlagnahmt, verschwand im Keller, überdauerte dort die Nazizeit und die DDR. Als sie 1999 hochgespült wurde, war das Eigentum daran niemals verloren gegangen. Deshalb besteht hier die Besonderheit, dass auf Herausgabe geklagt werden konnte. Nahezu sämtliche anderen Konstellationen – Enteignung nach Nazigesetz, Versteigerung oder Verkauf während der Nazizeit, auch Versteigerung nach Ende des Zweiten Weltkriegs, die oftmals zu Eigentumsübergängen geführt haben – begründen bedauerlicherweise zivilrechtlich keinen Eigentumsanspruch mehr.

Heißt das, das NS-Unrecht ist nach dem Zivilrecht bis heute wirksam?

Bedauerlicherweise ja. NS-Gesetze werden vielfach bis heute als wirksame Rechtsgrundlage gesehen. Hoffnung macht die neuere Rechtsprechung in den USA. Sie erkennt zum Beispiel NS-Versteigerungen nicht mehr an. Dort kann man zivilrechtlich erfolgreich sein.

Gestritten wird derzeit auch um den mittelalterlichen „Welfenschatz“, der einen zentralen Platz in der Ausstellung des Berliner Kunstgewerbemuseums einnimmt. Sie haben angemerkt, keine der Streitparteien – weder die Stiftung Preußischer Kulturbesitz noch die Erben – sei auf die zentrale Frage eingegangen, nämlich ob der Fall überhaupt als verfolgungsbedingter Verlust einzustufen ist.

Legt man die Tatsachen zugrunde, die von beiden Seiten bestätigt sind, dann hat am Maßstab des Alliierten Rückerstattungsrechts gemessen kein NS-verfolgungsbedingter Vermögensverlust stattgefunden. Die Alliierten haben einen sogenannten NS-Verlust nur anerkannt, wenn der Verkauf in Deutschland stattfand, der Verkäufer unter dem Druck des Naziregimes in Nazideutschland verkauft und eben auch dort den Kaufgegenstand übergeben hat. Das war hier offenkundig nicht der Fall.

Demnach besteht kein Rückgabeanspruch?

Im engen Rahmen des Alliierten Rückerstattungsrechts nicht. Aber man muss den Gesamtzusammenhang betrachten: Waren die Verkäufer, die sich im Ausland befanden, durch ihre Flucht in schwierigen finanziellen Verhältnissen? Blieb ihnen gar nichts anderes übrig, als Hab und Gut zu verkaufen, weil sie alles andere in Deutschland zurücklassen mussten? Dann würde es sich um einen sogenannten Fluchtgutfall handeln, und dann wäre nach den Washingtoner Prinzipien ein fairer und gerechter Ausgleich, etwa eine Entschädigung, zu verhandeln.

Wenn Sie die nationale und internationale Situation zusammennehmen: Können Konferenzen wie die in Prag zu einer Verbesserung der Situation beitragen?

Machen wir uns nichts vor: In Prag wurden von Regierungsvertretern vorgefertigte Reden verlesen, und jene Experten, die seit 10, 15 Jahren Grundlagenforschung machen, wurden nicht einmal eingeladen. Die harte Arbeit danach ist dieselbe wie zuvor, und sie muss geleistet werden von den Museen und von den Betroffenen, die ihre Kunstwerke suchen. Da findet die Lösung statt, nicht auf irgendwelchen internationalen Konferenzen.