: VOLLE KANNE SCHROTT
VON DIETRICH ZUR NEDDEN
Nicht ums Verrecken möchte man so zart besaitet und einfühlsam sein wie die ökonomischen Stern- und Tendenzendeuter mit ihren „Analysen“. Zugleich schwadronieren sie drauflos, um im medialen Dschungel Geräusche hervorzurufen, wie wir Schlauberger blitzgescheit durchschauen. Hier eine mehr oder minder zufällige Kollektion an waghalsig-vorsichtiger Exegese aus der jüngsten Vergangenheit:
Maßgebliche Beobachter meinten, dass „eine allmähliche Stabilisierung auf niedrigem Niveau nicht auszuschließen“ sei. Andere Experten sahen „sogar erste Anzeichen für eine Abschwächung der Krise“ oder entdeckten „immer mehr Konjunktursignale, die auf ein Nachlassen des Abwärtsdrucks hindeuteten“. Generell erwarte man, heißt es andernorts, dass die Weltwirtschaft auf eine, na was wohl?, „Talsohle“ zusteuere, die „sich abzeichnende Erholung“ aber „voraussichtlich schwach und fragil“ bleiben werde. Andere meinen, diese oder jene Daten stellten in Aussicht, jene „Talsohle des Abschwungs“ sei erreicht. Einer weiteren verlässlichen Quelle ist zu entnehmen, die „allmählich zurückkehrende konjunkturelle Zuversicht“ täusche. Irgendein Finanzminister sieht „erste Zeichen von Beruhigung und Stabilisierung, was aber noch keine Erholung“ bedeute. Mal stehen wir „an der Kante des Steilhangs“, mal mitten in der „Gefahr der Kernschmelze“. Und so fort.
Das Geredegeröll ist feinsinniger als die feinsinnigste Feuilletonkritik über eine beispielsweise spektakuläre Interpretation der „Jupiter“-Symphonie. Verlässlicher als diese Betrachtungen, glauben manche, seien die Zahlen, die ihnen zugrunde liegen. Wie trügerisch Zahlen sind, wissen wir ohnehin. Dennoch würde ich gern einen frohgemut ehrgeizigen Rechercheur dazu ermuntern, die Billionen zu betrachten, genauer: sofern sie Übersetzungen sind. Im Deutschen steht die Billion bekanntlich für 1.000 Milliarden, im amerikanischen Englisch jedoch für eine Milliarde. Irgendwann in den Achtzigern wurde ich im Sportteil einer Zeitung des Missgriffs gewahr und stellte mir vor, dass diese Tradition weiterhin gefördert wird. Längst wohlbekannt? Schade, aber toll.
Gleichfalls weit vor der Schwelle zum 21. Jahrhundert pflegte ein Freund in Wien zu erwähnen, allein die Existenz des Begriffs Spätkapitalismus würde ihn heiter stimmen, es schwebten in seinem Sinn Wörter wie Spätherbst, Spätlese, Spätmittelalter, Spätschicht dabei mit. In der Tat, sein Antlitz hellte auf, die Stirnrunzeln glätteten sich, es verhieß Aufruhr, Revolte, Widerstand.
A bissl früher, nämlich am 6. November 1923 schrieb der Dichter Ringelnatz seiner Frau: „Anbei noch fünfhundert Milliarden für Vorräte und sonstige Verwendung nach Deinem Ermessen, aber sofort.“ Wenn ein Satz wie dieser, übersetzt zum Beispiel für eine amerikanische Ausgabe, zurückübersetzt würde … Eines Tages wird Ringelnatz als noch vermögender gelten, als er ohnehin schon war: „Und das Leben ist – alles, was es nur gibt: / Wahn, Krautsalat, Kampf oder Seife …“