Schlechter Zeitpunkt

Nächste Woche soll in Jenfeld der Abschluss von 15 Jahren Stadtteilentwicklung gefeiert werden. Der Fall Jessica wirft ein Schlaglicht darauf, dass es noch einiges zu tun gibt

Das Timing ist denkbar schlecht: In einer Woche soll mit einem Festakt das Stadtteilentwicklungsprogramm in Jenfeld beendet werden. 15 Jahre lang hat der Senat das Quartier gefördert. Zig Millionen Euro sind in den Stadtteil gesteckt worden. Jetzt hat der Fall der verhungerten Jessica die Festtagsstimmung verdorben. Nach wie vor haben vielen BewohnerInnen wenig Aussicht auf ein gelungenes Leben. Andererseits ist das Viertel ansehnlich geworden und es gibt viele Menschen, die sich engagieren.

1997 titelte das Abendblatt: „Jenfeld – Tristesse mit Aufwärtstrend“. Statistisch hat sich die Lage eher verschlechtert: Zwischen 1996 und 2003 ist der Anteil der Sozialhilfeempfänger von 14,7 auf 15,8 Prozent gestiegen, die Arbeitslosenquote von 9,3 auf 10 Prozent (März 2004) und die Zahl der Straftaten pro 1.000 Einwohner von 106 auf 119. Kürzlich pinkelten Jugendliche an einen Streifenwagen. Als die Polizisten einschritten, liefen zwei Dutzend weitere Halbwüchsige herbei, so dass Verstärkung anrücken musste.

Trotzdem findet Bezirksamtsleiter Gerhard Fuchs (CDU), „dass Jenfeld einen enormen Aufschwung vollzogen hat“. Seit 1991 hat allein die Saga rund 100 Millionen Euro investiert. Pförtnerhäuschen schaffen Verbindlichkeit. Einige Blocks wurden mit Gittern umzäunt. Die Stadterneuerungsprogramme hätten für viel Eigeninitiative gesorgt, sagt Fuchs. Inzwischen gebe es „eine hohe Hilfsdichte“.

Teil davon ist der Verein Aktive Nachbarschaft Jenfeld/Jenfelder Kaffeekanne, der sich unter anderem um Familien mit Schwierigkeiten kümmert. Hans Berling und seine KollegInnen werden aufmerksam, wenn ein Kind nicht wettergemäß angezogen ist, wenn es übermäßig herumhampelt oder die Zeit zuhause vor allem vor der Glotze verbringt. Ein Jahr lang werden maximal acht Kinder und deren Familien von ihnen betreut.

Durchschnittlich 50 Kinder versorge die Kaffeekanne vor der Schule mit einem Frühstück, berichtet Berling. Nur ein sehr kleiner Teil dieser Kinder sei verwahrlost. Vielmehr seien viele Kinder Alleinerziehender darunter, mehr als ein Drittel von ihnen lebe vom Arbeitslosengeld II. „Zum Monatsende wird‘s voller“, sagt Berling. Dann geht den Eltern das Geld aus.

Auch Berling konstatiert, dass viel für den Stadtteil getan worden sei. Der Erfolg sei schwer zu beurteilen: „Wenn die gesamtgesellschaftliche Situation so katastrophal ist, helfen Förderprogramme, die auf Stadtteilstrukturen ausgerichtet sind, den einzelnen Familien wenig.“

Wie Berling hält auch Thies Hagge von der Friedenskirche die Arbeitslosigkeit für ein zentrales Problem. „Ich kriege durch Hartz IV mit, dass sich eine kollektive Depression verstärkt“, sagt der Pastor. Wohl sei Hartz IV auf langfristige Verbesserung angelegt; direkt erlebten jedoch viele, dass sie weniger in der Tasche hätten.

Als Christ könne er diesen Menschen vermitteln: „Du bist nicht wertlos, selbst wenn Du keine Arbeit hast.“ Diese Botschaft „kommt bei den Leuten an“, sagt Hagge, „und verändert sie“. Gernot Knödler