: Ein guter Mix
WIMBLEDON Lange hatte Thomas Haas gehofft, dass ihm Wimbledon noch eine Chance bietet. Jetzt könnte es klappen
Roger Federer
AUS LONDON DORIS HENKEL
Junge Leute finden Sätze grässlich, die mit dem Wort „früher“ beginnen. Aber das lässt sich jetzt nicht vermeiden. Früher also dachte Tommy Haas: Wenn ich mal 30 bin, dann ist es wohl vorbei mit der Karriere. Als sich Boris Becker 1997 zum ersten Mal in Wimbledon verabschiedete, war er 29, und der Schwede Björn Borg hatte schon mit 26 das Gefühl, er könne das alles nicht mehr ertragen; den ständigen Druck, dieses Leben eines Vagabunden, die Einsamkeit hinter der schillernden Fassade. Und dessen Landsmann Mats Wilander, der mit 17 in Paris den ersten großen Titel gewonnen hatte, war nach seinem 25. Geburtstag mit den Gedanken längst anderswo. „Es ist nicht in deiner Hand zu entscheiden, wann der Tag kommt, an dem du denkst, ein Tennisspiel zu gewinnen, ist nicht die wichtigste Sache der Welt“, sagte er zu Beginn dieses Jahres in einem Interview. „Es passiert einfach so. Zack. Du stehst da und weißt exakt, dass du über dem Ablaufdatum bist.“ Es gab nach diversen Brüchen, Rissen, Zerrungen und vor allem den Operationen der lädierten Schulter genügend Phasen im Leben von Tommy Haas, in denen er sich fragen konnte: Warum tu ich mir das noch an? Die Antwort liegt, um einen Standard aus der Abteilung Fußball zu benutzen, auf dem Platz. Wenn man das Gefühl hat, es ginge nicht mehr weiter, dann hilft es, an die Schmetterlinge zu denken, die großen Spielen im Bauch herumschwirren, als hätten sie sich an Champagner verschluckt. Einem Spiel wie jenem, in dem er an diesem Freitag nach elf Jahren auf den Centre Court zurückkehren wird. „Hier war für mich ’ne Menge Pech im Spiel“, sagt Haas. „Aber tief drinnen habe ich immer daran geglaubt, dass Wimbledon mir was übrig gelassen hat. Ich hoffe, dass es bald passiert, ich werde ja nicht jünger.“
Aber genau darin liegt der besondere Reiz. Wenn man jung ist, glaubt man ja manchmal, das Leben sei ein Selbstbedienungsladen, allzeit geöffnet, immer gut sortiert. Dass das nicht stimmt, merkt man, wenn die ersten Waren ausverkauft sind. Als Roger Federer vor knapp vier Wochen in Paris endlich den ersehnten Titel bei den French Open gewann, nach der Zeit des Wartens und der Enttäuschungen, sei das Glücksgefühl jetzt größer, als es ein paar Jahre zuvor je hätte sein können. Im Gegensatz zu Haas schaffte es Federer mit ein bisschen Glück, aber vor allem mit umsichtiger Planung der Trainingsphasen, bisher von größeren Verletzungen verschont zu bleiben. Umso mehr imponiert ihm die Standhaftigkeit des Konkurrenten. Die beiden sind sich im Laufe der vergangenen Jahre näher gekommen, trainieren oft miteinander und gehen auch mal zusammen essen. Es ist sicher kein Spruch, wenn der Schweizer jetzt sagt: „Ich freu mich sehr für Tommy, es ist immer schön, wenn jemand nach Verletzungen so zurückkommt.“ Er ist zwar drei Jahre jünger als Haas, aber in gewisser Weise zählt er sich jetzt auch schon zur älteren Generation. Zu einer anderen auf jeden Fall als die der Murrays, Djokovics und auch Nadals. Es gefällt ihm, wie sich die Dinge bei diesem Turnier entwickelt haben. Im Viertelfinale standen Spieler wie Hewitt (28) und Ferrero (29), und Andy Roddick (26) spielt zum ersten Mal seit 2005 wieder im Halbfinale. „Das ist ein guter Mix“, sagt Federer. „Hin und wieder ist das ja cool, gegen die Jungen zu spielen. Aber ich spiele gern gegen Leute, die ich schon lange kenne und die jahrelang meine härtesten Rivalen waren. Gegen die Älteren hast du häufiger was Bewegendes erlebt.“ Bekanntlich verbindet gemeinsam erlebte Geschichte, und Erinnerungen teilen zu können, gehört zu den unbezahlbaren Gaben der Wundertüte Leben. Das weiß Haas inzwischen, und dass das Schicksal manchmal sehr eigene Vorstellungen hat, weiß er auch. Er klingt fast poetisch, wenn er sagt: „Ich glaube daran, dass alles aus einem bestimmten Grund passiert. Wenn ich sehe, wo ich jetzt bin und was ich erreicht habe, dass ich lebe und dieses Spiel immer noch spiele, an dem ich so lange hänge, dann kann ich mich nicht beschweren. Wir wissen alle, dass Tennisspieler eine kurze Karriere haben. Aber danach liegt noch ein ganzes Stück Leben vor dir. Dann willst du zurückblicken und sagen können: Ich hab das Spiel so lange wie möglich gespielt und mein Bestes versucht.“ Und das Schönste nach all den Jahren ist: Besser als dieses Mal sah es nie aus.