„Deutscher in Guantánamo gefoltert“

Geschlagen und misshandelt worden sei der Bremer Guantánamo-Gefangene Murat Kurnaz, berichtet sein Anwalt. Als Erster durfte er seinen Mandanten im Gefängnis besuchen. Anwälte fordern: Deutschland muss diplomatischen Druck ausüben

AUS BREMEN EVA RHODE

Unter Terrorismusverdacht hält die US-Regierung den in Bremen geborenen Türken Murat Kurnaz seit über drei Jahren auf Guantanámo fest. Gestern warf der US-amerikanische Anwalt von Kurnaz, Aher Bazmy, den amerikanischen Militärs Folter vor. Der New Yorker Anwalt erklärte, Murat Kurnaz werde unter schwersten Menschenrechtsverstößen und unschuldig in Haft gehalten. Dabei berief er sich auf ein von der US-Regierung angefochtenes Urteil eines amerikanischen Zivilgerichts vom Januar, wonach terroristische Aktivitäten Kurnaz’ nicht belegt sind.

Azmy ist die einzige Zivilperson, die den heute 22-jährigen Schiffbauer-Lehrling Kurnaz seit seiner Gefangennahme 2001 traf – unter denkwürdigen Umständen. „Murat war von meinem Besuch nicht informiert“, schilderte Azmy gestern in Bremen die erste Begegnung vergangenen Oktober. „Er hat auch nicht gewusst, dass die Welt von dem Lager auf Guantánamo weiß – und dass er dort ist.“ Doch habe Kurnaz Vertrauen gefasst.

Was Kurnaz dem Anwalt berichtete, brachte seine Mutter gestern auf der Pressekonferenz zum Weinen. Danach begannen Bedrohung und Folter durch US-Kräfte kurz nach Kurnaz’ Entführung aus Pakistan, wo er als Koranschüler mit Mitgliedern der islamischen Vereinigung Jama’at al-Tablighi Moscheen bereiste. „Er hatte ein Rückflugticket und Mitbringsel im Gepäck“, so Azmy. Kurnaz habe diese Reise als letzte religiöse Reise vor der Heirat gesehen.

Doch wurde der damals 19-Jährige nach von Pakistan bestätigten Angaben nach Afghanistan verschleppt. Vermutlich auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Kandahar habe man ihm Verbindungen zum Hamburger Terrorflieger Mohammed Atta vorgeworfen, ihn nächtelang fast nackt und ohne Essen im Freien gehalten, ihn geschlagen und mit Erschießung bedroht. Weil er weder Verbindungen zu al-Qaida noch zu anderen Terrorgruppen gestand, wurde er an den Armen aufgehängt. Mehrfach habe er ansehen müssen, wie auch andere Gefangene misshandelt wurden. In einem Fall glaube Kurnaz, die Ermordung eines Mitgefangenen beobachtet zu haben.

Auch nach Kurnaz’ Einlieferung auf Guantánamo sei die unmenschliche Behandlung fortgesetzt worden. „Erst als die Folterpraktiken aus dem irakischen Gefängnis Abu Ghraib bekannt wurden, hat sich das geändert“, berichtete Azmy. Er befürchte, dass neben den bekannten Camps – Kurnaz sitzt in Camp Delta – heute weitere Lager auf Guantánamo unterhalten werden, in die neue Gefangene eingeliefert werden, die später in Ländern wie Syrien, Jordanien und Ägypten verhört würden.

Noch immer glaube die Mehrheit der US-Bürger, die 570 Gefangenen auf Guantánamo seien „die schlimmsten der schlimmen Feinde Amerikas“. Kurnaz sei der Gegenbeweis. Doch sei seine Freilassung unabsehbar, weil die US-Regierung alles tue, um Verfahren zu behindern.

„Deutschland darf sich nicht aus der Verantwortung stehlen. Es muss diplomatischen Druck ausüben und die Einhaltung der Menschenrechte einfordern“, appellierte gestern auch der deutsche Anwalt Bernhard Docke. Zwar sei Kurnaz türkischer Staatsbürger. Doch arbeiteten die US-Militärs offenbar mit Akten aus Bremer Ermittlungen, die sie nicht legal erhielten. „Wir fragen uns, ob Bundesnachrichtendienst und Verfassungsschutz für ihren Besuch 2002 auf Guantánamo eine Gegenleistung erbracht haben“, so Docke. Dies sei tragisch, weil das US-Militär daraus absurderweise ableite, dass Kurnaz mit einem Selbstmordattentäter befreundet sei. „Dieser Mann lebt gesund in Bremen. Alle Ermittlungen gegen ihn sind eingestellt.“