: Der kranke, alte Pole
Das Theater der katholischen Kirche um das Siechtum des Papstes ist absurd: warum so geheimnisvoll?
Wahrscheinlich ist das alles ein abgekartetes Spiel. Gottes Vertreter auf Erden näherte sich in den letzten Tagen immer mehr dem Status einer religiösen Erscheinung, mit allen dazugehörigen wundertypischen Eventualitäten: Mal erscheint er am Fenster (= in der Grotte), mal nicht, mal will man Worte aus seinem Mund kommen gehört haben, mal nur ein greises Räuspern, mal liest man aus der Menge der Papierseiten, die der alte Pole nach der stummen Predigt auf einmal fallen lässt, wie aus einem Kaffeesatz.
Der Unterschied zu einem amtlichen Wunder und dem Papst (und er kennt sie alle, er hat sie schließlich eigenhändig anerkannt) ist aber: Den Papst könnte man – im Gegensatz zu einer flüchtigen Marienerscheinung – eigentlich doch problemlos (und sogar in mehreren Sprachen) fragen, wie es ihm geht, und ob er vorhat, heute Nachmittag seine Fans zu beglücken, oder sich lieber schonen möchte.
Nur tut das anscheinend niemand.
Ob der Papst launisch ist? Ob er bis kurz vor Ostersegenshowtime immer wieder seine Meinung ändert, wie eine Französin bei einer menage à trois? Oder ob auch die Kardinäle, Bischöfe und Priester um ihn herum sein Röcheln nicht mehr deuten können, und darum die Ostertage ratlos hinter verschlossenen Vorhängen absitzen, immer ein erschrecktes Auge auf Woytila gerichtet in Erwartung seiner nächsten, nicht vorhersehbaren Schachzüge?
Erstaunlich ist aber auch, dass die (doch gern als kritisch gesehenen) Medien, selbst die, die nicht ihre Kirchenzugehörigkeit im öffentlich-rechtlichen Rahmen postulieren, diesen Mummenschanz kommentarlos schlucken, und weiter die geschlossenen Fenster, die Papst-von-hinten-Bilder zeigen.
Es schlich sich über Ostern langsam ein ganz leicht genervter Unterton in die Statements der beseelten VatikanbesucherInnen, die das Fehlen offizieller Verlautbarungen, offizieller Hüs oder Hotts nicht mehr verstanden. Man würde doch auch, sogar umso mehr, mitleiden, wenn man wüsste, Il Papa ist krank und kann darum nicht segnen. Und dass der Petersplatz während der Osterfeiertage öd und leer darniederliegen würde, gesäumt von verzweifelten Devotionalienhändlern am Rande zum Ruin, das muss der Vatikan nicht befürchten.
Die katholische Kirche zieht sich mit diesem absurden Theater immer mehr auf die Position eines Haufens irrealer Märchenonkel zurück. Wozu sie ja auch gehört. Trotzdem eine sehr subversive Art, sich langsam selbst den Hahn abzudrehen.JENNI ZYLKA