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Archiv-Artikel

Das Wurstwunder von Paritondo

Einen Tag nach seinem Begräbnis ist der Papst auferstanden und treibt sich herum

Der Papst stand zwischen den Tomatenstauden, als er die Wurst überreichte

„Denn bei Gott ist kein Ding unmöglich“, heißt es bei Lukas und siehe, es ist wahr. Kaum einen Tag nachdem sich die Grabplatte über den sterblichen Resten Johannes Paul II. gesenkt hatte, ist Karol Wojtyła auferstanden. Am Samstagnachmittag sichtete man den Polen im Abruzzenflecken Paritondo am Fuß der sibillinischen Berge. Dortselbst trat er Pater Zenga, dem Seelsorger der 200-Seelen-Gemeinde, im Garten des Pfarrhauses entgegen. Wie Il Tempo berichtet, im roten Talar, mit Mitra und Stola, an den Füßen schlichte braune Halbschuh von jener Art, wie sie Johannes Paul II. sein ganzes Papstleben lang getragen hatte. Nun waren sie nass und voller Lehm, denn der Verstorbene stand zwischen Zengas Tomatenstauden.

Der Papst habe nicht gesprochen, aber sehr lebendig ausgesehen, meinte Zenga und gab an, selber gänzlich frei von Furcht und nur etwas verwirrt gewesen zu sein, weil Wojtyła ihm statt der erwarteten Segnung eine Krakauer Rauchwurst habe zukommen lassen. Diese Verwirrtheit sei jedoch sogleich in ein Gefühl tiefer Dankbarkeit umgeschlagen. Denn just als der Papst erschien, hatte der Pater doch an die Minestrone denken müssen, welche ihm die Küsterfrau seit Jahren aus Gemüse und dünner Hühnerbrühe mehr schlecht als recht und zu Zengas nicht geringen Verdruss radikal vegetarisch zusammenrührte. „Das Wurstwunder von Paritondo“ (La Stampa) blieb nicht das einzige Lebenszeichens des toten Papstes.

Am nächsten Tag materialisierte er sich auf der Promenade von La Spezia. Seine Heiligkeit habe einen Kiosk angesteuert und zwei Kugeln Pistazieneis verlangt, ehe über die Wasser des Ligurischen Meeres geschritten und in Richtung Korsika verschwunden sei. Augenzeugen schworen Stein und Bein: „Es war il papa“. Nur hatte er diesmal keine Tiara und statt brauner Halbschuhe Sandalen getragen. „Er sah aus wie der Wojtyła, sprach Italienisch mit polnischem Akzent, und er hat vergessen zu zahlen“, sagte Eisverkäuferin Anzia Partiti in den Abendnachrichten der RAI.

Ähnliches verlautete am selben Tag aus dem österreichischen Linz. Hier bestieg ein Mann im Bischofsornat, der dem Stellvertreter Gottes wie aus dem Gesicht geschnitten war, ein Taxi und ließ sich zum Wirthaus „Hirschen“ chauffieren. Dort angekommen, wies er den Fahrer an: „Warrrte, mein Sohn, äs soll nächcht chdein Schaden saiin.“ Dann sei der Bischof in den „Hirschen“ hineingegangen, aber nie wieder herausgekommen. Drinnen konnte sich allerdings niemand an den Mann erinnern. Als der Taxler nachfragte, wo denn „dieser Papsttyp“ geblieben sei, der schulde ihm 3.000 Kronen, alarmierte der Wirt die Polizei, die den Taxler sogleich zum Alkoholtest abführte. Dass er stocknüchtern und der Geprellte war, war der Lokalzeitung lediglich zehn Zeilen wert. Der Umstand, dass man anderntags im „Hirschen“ zwei Flaschen Obstler vermisste, dafür aber Wojtiłas Siegelring unter der Spüle fand, schlug Wellen bis nach Rom.

Der Lateranpalast tat alles, um die mysteriösen Vorkommnisse herunterzuspielen. Das ging auch gut, bis der Manager des FC Schalke 04, Rudi Assauer, offenbarte, er habe den Papst durch die Katakomben der Arena AufSchalke schweben sehen. Wie Assauer der Bild am Sonntag erzählte, sei es leider nicht dabei geblieben. Wojtyła habe ihm die Enzyklika „Dives in misericordia“ (Über das menschliche Erbarmen) auf den Kopf gehauen und ihm dann eine Standpauke gehalten: „Ich bin nurr ain ainfaches Verrrrainsmitglied, aberrrr ich sagge dirrr, hörrr auf zu rrauchen und begähre nicht deines Nächsten Mittälfäldspielärrr, vorrr allem nicht, wenn sie bai Wärrrrdär Brämän spielän.“ Deutschland stand Kopf.

Nur wenig später schlug die Erzdiozöse Krakau Alarm und meldete tumultartige Szenen sowie himmelschreiende Blasphemie in der Marienkirche. Während der Frühmette hatte sich eine Manifestation des Papstes vor der Gemeinde aufgebaut, auf den berühmten Schnitzaltar des Veit Stoß gewiesen und mit donnernder Stimme ausgerufen: Das stimme gar nicht, das sei alles falsch. Dabei, versichert die Gazeta nova, sei Wojtyła nicht allein gewesen, sondern in Begleitung eines übel riechenden und kopflosen Geistlichen aufgetreten. Dieser habe sich als jener Papst Formosus vorgestellt, welcher zwecks Verdammung von zweien seiner Nachfolger exhumiert worden sei, und nun die Kollekte für ein anständiges Begräbnis einsammeln wolle.

Kurz danach erschienen die Schismapäpste Gregor VII., Benedikt XIII. und Alexander V. auf dem Domplatz in Avignon und exkommunizierten sich gegenseitig, in São Paulo ritt Leo X. auf seinem weißen Elefanten durch die Straßen, während Wojtyła gleichzeitig in Pjöngjang, Kabul und Havanna die Heiden missionierte. Zuletzt wurde er in Graceland gesichtet, wo er zusammen mit Elvis und John Lennon „Heartbreak Hotel“ zum Besten gab. Die Welt war nun komplett aus den Fugen geraten.

Die Kurie hat das alles schwer getroffen. Wie aus dem Vatikan verlautet, wurde die Wahl eines neuen Papstes auf unbestimmte Zeit verschoben, das Konklave sei aufgelöst, Kardinal Ratzinger auf dem Weg nach Lourdes.

MICHAEL QUASTHOFF