: Die Leichtigkeit des Herrn Güldner
NETZSPERREN In einem Online-Kommentar rechnet Bremens grüner Fraktionschef Matthias Güldner mit den Gegnern von Internetsperren ab und erntet allenthalben heftige Kritik – auch in den eigenen Reihen
Das Zugangserschwerungsgesetz soll das Aufrufen von Webseiten mit Kinderpornographie im Internet erschweren.
■ Im Januar 2009 gab Familienministerin Ursula von der Leyen bekannt, dass sie in Zusammenarbeit mit dem Bundeskriminalamt und den großen deutschen Internetprovidern kinderpornografische Inhalte filtern lassen will. Ein Rotes Stoppschild soll den Internetnutzer über die Sperrung der Seite informieren.
■ Kritiker sehen in dem Gesetz einen schweren Eingriff in die Informationsfreiheit. Das Gesetz bekämpfe keine Kinderpornografie, sondern sei ein undemokratisches Instrument zur allgemeinen Zensur im Internet.
VON JAN ZIER
Matthias Güldner aus Bremen ist zwar seit langem grüner Fraktionschef in der republikweit einzigen rot-grünen Landesregierung. Und doch einer, den überregional kaum jemand kannte. Bis jetzt. Mit einem einzigen Kommentar in der Online-Ausgabe der Welt brachte er weite Teile des Internets gegen sich und gegen die Grünen auf. Das renommierte Blog netzpolitik.org kührte ihn umgehend zum „Politiker des Tages“. Die ersten Parteiaustritte sind schon zu verzeichnen und bei Facebook wurde ihm sogar eine eigene Gruppe gewidmet. Hunderte von durchweg heftig ablehnenden Kommentaren widmen sich dem Grünen mittlerweile in verschiedensten Web-Foren.
Die „Unerträgliche Leichtigkeit des Internets“ hat Güldner seinen Beitrag überschrieben, in dem er mit den Gegnern der Internet-Sperren abrechnet. Sperren, die der Bekämpfung der Kinderpornografie dienen sollen – aber auch von seiner eigenen Partei abgelehnt werden. Im Bundestag haben die Grünen dem so genannten „Zugangserschwerungsgesetz“ nicht zugestimmt, der letzte Parteitag widersprach entsprechenden Plänen der Bundesregierung. Weil dem Bundeskriminalamt „nahezu unkontrollierte Befugnisse“ eingeräumt und die Telekommunikationsunternehmen zu Hilfssheriffs gemacht würden, wie der grüne Bundesvorstand in einer rasch veröffentlichten Stellungnahme schreibt.
Matthias Güldner ficht das nicht an. Vielleicht, weil der 48-Jährige das Internet ohnehin für eine „Kommunikationsmode“ hält. Und die „Glorifizierung“ derselben, schreibt Güldner, ja vergehen werde. „Er macht aus seiner Abneigung gegen das Web 2.0 keinen Hehl“ kommentierte dazu das Computerportal „Chip-Online“. Zugleich offenbare er eine „erschreckende Unkenntnis“ über die Protestbewegung gegen Internetsperren.
Güldner hält den Gegnern der Netzsperren vor, mit „hoch effektiven Mitteln für die Rechtsfreiheit ihres Raumes“ zu kämpfen. Und weiter: „Wer sich in ihre Scheinwelt einmischen will, wird mit Massenpetitionen per Mausklick weggebissen“. Das Internet war nie und darf auch nie ein rechtsfreier Raum sein, stellte dazu der grüne Bundesvorstand fest. Güldner vertrete lediglich eine Einzelmeinung.
Die aber mit Verve. Güldner, ein erfahrener Politiker, ist einer, der auch mal markige Sätze sagt. „Da haben sich einige wohl das Hirn herausgetwittert“ ist so ein Satz. Mit ihm diskreditiert er den weit verbreiteten Einwand, Internetsperren könnten auch umgangen werden.
Dasselbe Argument ließe sich gegen den Mordparagrafen im Strafgesetz vorbringen, findet der Grünen-Politiker. Oder gegen Umweltgesetze. Und doch fordert niemand die Abschaffung derselben. Aber der Vergleich hinkt: Konsum, Erwerb und Verbreitung von kinderpornografischem Material sind nicht erst jetzt mit dem jüngst gefassten Netzsperren-Beschluss strafbar geworden, sondern werden schon seit Jahrzehnten geahndet. Wie Mord auch.
Nicht nur die Grünen wollen lieber löschen statt sperren. Das wäre nicht nur „ungleich effektiver“, wie „Chip-Online“ feststellt, sondern auch auf ausländischen Servern zu bewerkstelligen, wie der Arbeitskreis (AK) Zensur bewies: Innerhalb von gerade einmal zwölf Stunden erreichte er – auf freiwilliger Basis – die Löschung von 61 Kinderporno-Seiten. Güldner sagt dazu nichts.
Stattdessen diffamiere er Millionen von Internet-Usern, kritisiert die Grüne Jugend umgehend. Und die in Bremen neu gegründete Piratenpartei vermeldete stolz den Parteiaustritt eines Vorstandsmitgliedes des Chaos Computer Club in Bremen. „Es ist unfassbar, dass sich Herr Güldner anmaßt, solche kruden Vergleiche aufzustellen“, sagte Erich Sturm von der Piratenpartei. Die Grünen in der Bremischen Bürgerschaft forderte Sturm auf, sich „klar und unmissverständlich“ von Güldners Äußerungen zu distanzieren.
Güldner selbst war gestern zu einer Stellungnahme nicht bereit. Auch aus seiner Fraktion kam keine Reaktion.