Rendezvous zum Remis

BEAMTENSCHACH Medienpolitik in Deutschland ist ihrem Sujet so weit hinterher, dass sie sich am liebsten mit den Fragen von gestern beschäftigt – Reflexion aus einem deutschen Parlament

Ein Professor ist als unabhängiger Wissenschaftler da, obwohl alle wissen, dass er das nicht ist

VON STEFFEN GRIMBERG

Montagmorgen im Dresdner Landtag. Die Linke hat zu einer Anhörung geladen. Konkret zu entscheiden ist dabei nichts. Heute geht es um Vielfalt, genauer gesagt um die Drucksache 5/5833 der Fraktion Die Linke zum Thema „Programmvielfalt in Hörfunk und Fernsehen“. Das hört sich so wenig konkret, an wie es dann auch wird.

Medienpolitik ist ein mühsames Geschäft und findet heute vor allem im Hintergrund statt. Sie ist zum Schachspiel geworden, zur taktischen Machtdemonstration. Das gilt auch jetzt: Bei der Anhörung geben sieben Sachverständige in Kurzstatements ihren Senf zum Thema dazu und können danach noch von den Abgeordneten befragt werden. Sie soll der sächsischen Staatsregierung und ihrem für Medienpolitik zuständigen Staatskanzleichef Johannes Beermann (CDU) zeigen, was man von seiner Medienpolitik hält. Ohne die Spannung vorwegzunehmen: Es ist nicht besonders viel.

Alles gehorcht streng den Regeln des parlamentarischen Schachspiels mit seinen langen Nachdenkpausen. Sie sind so lang, dass die Politik die real-mediale Entwicklung nur noch selten einzuholen vermag. Und auch das ist kennzeichnend für Medienpolitik: Wenn sich dann doch einmal etwas bewegt, geht es meistens nach hinten los.

Deshalb orientiert sich Medienpolitik allzu oft lieber gleich am gestern. Die aktuelle Posse um das gemeinsame Vorhaben von öffentlich-rechtlichem Rundfunk und Verlegern, im Internet und der schönen neuen App-Welt die alten Grenzen zu ziehen – Radio und Fernsehen machen auch im Netz Audio und Video, die Printmedien Text –, zeugt davon.

Auch die heutige Anhörung blickt eher zurück als nach vorn. Es geht um die „AG Beitragsstabilität“, die vor einem guten Jahr der sächsische Staatsminister Johannes Beermann erfunden hat, um der Lieblingsbeschäftigung seiner Partei seit Adenauer zu frönen: den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in die Schranken zu weisen. „Zielvorstellung ist dabei eine verfassungskonforme Einschränkung der Aufgaben des öffentlich-rechtlichen Rundfunks“, heißt es im „Zielpapier“ der AG. Warum die nötig sein soll, wird zwar so recht nicht klar. Doch vor allem die ARD fürchtet auf dem medienpolitischen Schachbrett um ihre Dame und nimmt die AG ziemlich ernst.

Die Eröffnung fällt allerdings recht harmlos aus: Als erste Sachverständige spricht Daniela Beaujean. Sie ist Justiziarin beim Privatsender-Lobbyverband VPRT, wo man alles Öffentlich-Rechtliche zwar gar nicht mehr so kritisch sieht wie früher, sich eine solche Chance aber natürlich nicht entgehen lässt. Also versichert Beaujean treuherzig, niemand habe „die Absicht, an der Bestandsgarantie des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu rütteln“, was sich gut anhört und nichts kostet: Denn diese Garantie ist vom Bundesverfassungsgericht mehrfach festgeschrieben worden, da kann auch eine „AG Beitragsstabilität“ nicht dran vorbei.

Deren Ziele unterstütze der VPRT aber „ausdrücklich“, sagt Beaujean noch, und dass die vielen Digitalkanäle von ARD und ZDF doch wenig Sinn machten, weil sie gar nicht der Vielfalt, sondern nur der „Programmvermehrung“ dienten. ARD und ZDF sollten sich doch bitte auf „gesellschaftlich relevante Inhalte konzentrieren und nicht immer mehr davon anbieten, was im Markt schon im Überfluss vorhanden ist“. Nun lautet eine altbewährte Schachregel: Vermeide, die Dame zu früh ins Spiel zu bringen, auf das Schäfermatt fallen nur Anfänger herein.

Auch die Erkenntnis, dass Medienpolitik viel zu oft auf derlei Sonntagsreden beschränkt ist, bei denen man am Ende höchstens „Bahnhof“ versteht, ist nicht eben neu. Doch warum veranstaltet man das Ganze und lässt sogenannte Sachverständige bei Minusgraden durchs Land fahren, die dann sattsam bekannte Positionen und Allgemeinplätze wiederkäuen?

„Das ist fürs Protokoll“, sagt einer, der es wissen muss. Falk Neubert (Linke) hat die Anhörung im Kultur- und Medienausschuss des sächsischen Landtags organisiert. 16 Landtage in Deutschland veranstalten solche Anhörungen. Nur warum?

Nach der Dame von der Privatfernseh-Lobby spricht Christoph Degenhart. Er leitet das Institut für Rundfunkrecht an der Universität Leipzig. Die „AG Beitragsstabilität“ ist sein Leib- und Magenthema, genauer gesagt: Der Professor hat sie mit erfunden, für die sächsische Staatsregierung und ihren Staatskanzleichef Beermann das rechtliche Gutachten dazu geliefert.

Jetzt aber ist er als unabhängiger Wissenschaftler da, obwohl alle wissen, dass er das nicht ist. Nein, sein „Papier“ sei „nicht das ausschlaggebende für das Zielpapier der AG“ gewesen, versichert Degenhart – was ihn nicht daran hindert, gleich danach in seinem Statement stellenweise haargenau die gleichen Formulierungen zu benutzen. „Die Landtage sind gehalten, Beitragsstabilität zu gewährleisten“, sagt Degenhart also, und weil er ein jovialer Mensch von Format ist, auch dies: Der große Talleyrand habe ja immer gesagt, der Mangel an Geld verhindere das Schlimmste, „aber der MDR oder das ZDF leiden ja leider nicht gerade an Geldmangel“.

Womit Degenhart meint, dass es ganz allgemein beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk eben doch ganz schön schlimm zugeht. Die Tatsache, dass er MDR und ZDF explizit nennt, liegt nicht daran, dass Degenhart besonders viel gegen diese beiden Anstalten hat. Sondern schlicht daran, dass Sachverständige von MDR und ZDF bei der Anhörung vertreten sind. Also sagt der stellvertretende MDR-Intendant Johann Michael Möller brav, dass man hier ja schon irgendwie eine Schlacht der Vergangenheit schlage, und meint damit, dass er gerne dabei mitmacht.

Möller kennt seine Schachregel, nach der jeder Zug der Beherrschung des Zentrums und der Sicherung der eigenen Figuren gelten soll. Holt also aus und beschwört den öffentlich-rechtlichen Rundfunk als „segensreiches Geschenk, dass der jungen deutschen Demokratie mit auf den Weg gegeben wurde“.

Im Saal nickt alles weg, der eine oder andere muss mal raus. Möller bemüht derweil den ZDF-Intendanten Markus Schächter, der immer gesagt habe, „entweder, wir gehen ins Netz, oder wir gehen ins Museum“. Von denen hat Dresden einige.

Auch die anwesenden Herrn von ZDF und Deutschlandradio machen sich später bei ihren Rochaden logischerweise für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk stark, dann ist die Eröffnung zu Ende. Und die Abgeordneten übernehmen per Fragerunde das Spiel.

Wobei weniger gefragt, sondern verdeckte Statements geliefert werden. Und schnell wird klar: Über ein Remis kommt dieses Spiel heute nicht hinaus – und soll es auch gar nicht. Degenhart muss, ausgerechnet auf Bitten eines CDU-Abgeordneten, doch mal positiv definieren, was eigentlich Beitragsstabilität bedeutet – und scheitert daran. „Gerade die einfachsten Fragen“ seien nun mal „oft die komplexesten“, ringt der Professor um Zeit zum Nachdenken. „Beitragsstabilität“ solle „dazu beitragen, dass die Beiträge nicht unbegrenzt wachsen“. Ach. Das war schon ziemlich – matt.

Der Kontrast vom Gesagten zum wirklichen Leben, diese Sollbruchstelle der aktuellen Medienpolitik, wird dabei auch bei dieser Schachpartie in Sachsen sehr deutlich: Da verlieren sich, FraktionsmitarbeiterInnen eingerechnet, am Ende noch knapp 20 Menschen im Plenum. Mehr als die Hälfte von ihnen hängt allerdings nicht an den Lippen der RednerInnen und ihren überwiegend rückwärtsgewandten Ausführungen. Sondern ist – ganz gegenwärtig – mit den Fingern und allen Sinnen auf ihren iPads und Smartphones unterwegs. Wenn nicht auf schach.de, dann doch in anderen Weiten der digitalen Welt, die längst angefangen hat. Die Medienpolitik hat davon aber noch nichts mitbekommen. Sondern sich schon ganz von allein selbst schachmatt gesetzt.

Der Autor saß selbst als Sachverständiger in der beschriebenen Anhörung