: Kein falsches Theater
OPER Dagmar Manzel singt und spielt an der Komischen Oper Songs von Kurt Weill mit Texten von Brecht. Der kommende Intendant Barrie Kosky sorgt für die Beleuchtung
VON NIKLAUS HABLÜTZEL
Barrie Koskie liebt das Theater an der Behrenstraße, das er von diesem Herbst an als Intendant leiten wird. Letztes Jahr, kurz nach Beginn der Saison, hatte er Journalisten zum Kamingespräch eingeladen, um ihnen zu erklären, warum. Es gab hier auch eine Zeit vor jenem Walter Felsenstein, der heute auf Bronzetafeln aus der DDR schon an der Eingangstür heilig gesprochen wird.
Kosky möchte Felsensteins Verdienste nicht schmälern. Aber Felsensteins Theater wurde zur Komischen Oper erst nach dem Krieg. Davor, und bevor die Nazis jede Art der Kunst zerstört hatten, war es das Haus eines Erik Charrell, Robert Stolz, Paul Abraham und vielen anderen, die hier mit der Gattung der sogenannten Operetten-Revue rauschende Nächte feierten. Sie alle möchte Kosky unter dem Schutt zweier sehr deutscher Diktaturen ausgraben, um seiner Komischen Oper ein festes Standbein in der Unterhaltungsmusik zu geben – ob von damals oder von heute, ist ihm völlig egal. Denn solche Fragen gehören für ihn, wie er sagt, zur typisch deutschen „Besessenheit für Schubladen“, die er verabscheut.
Nun muss man Bertolt Brecht und Kurt Weill gewiss nicht erst ausgraben, aber auch sie sind natürlich legitime Kinder dieser Tradition. An dem „Ballett mit Gesang“ genannten Stück „Die sieben Todsünden“, das die beiden im Pariser Exil 1933 für einen reichen, mit einer Tänzerin verheiraten Sponsor geschrieben und mit großem Erfolg uraufgeführt haben, wollte uns Kosky wohl einen Vorgeschmack geben für die Dinge, die bevorstehen. Ein Klassiker zunächst, wenn man so will, kein Abenteuer mit ungewissem Ausgang, so scheint es. Tatsächlich zu erleben ist seit Sonntag aber ein überaus riskantes Experiment. Dass es gelungen ist, liegt nicht an Barrie Kosky, sondern an Dagmar Manzel und dem Orchester der Komischen Oper, das in den letzten Jahren zu einem der besten der Stadt herangereift ist (von den Philharmonikern und der Staatskapelle mal abgesehen).
Kosky lässt Dagmar Manzel auf einer schwarzen, leeren Bühne völlig alleine – und liebt sie natürlich über alles. Sein einziger Beitrag ist ein Verfolger-Scheinwerfer, der die Schauspielerin aus dem Dunkel herausschneidet und auch wieder verschwinden lässt. Damit auch sie nur ein Schatten wird wie die Mitglieder des Orchesters, die nur schemenhaft erkennbar sind im schwachen Licht der Lämpchen, die ihre Notenpulte beleuchten.
Es sind die Schatten der Erinnerung an eine sehr traurige Geschichte, die Brecht erzählt, verpackt in ein Lehrstück. Die Todsünden des Mittelalters sind die einzigen Tugenden, die im Kapitalismus zählen. Eine doppelte „Anna“ muss das lernen. Die eine tanzt und will glücklich werden, die andere textet sie zu mit den Gesetzen des Geldes. Die eine ist „schön“, die andere „praktisch“, sagt Brecht. Beide sind eines, am Ende ist die Kasse gefüllt und das Häuschen in Louisiana bezahlt, aber die Seele ist leer. Beide werden verkörpert von Dagmar Manzel, die singt, spielt und tanzt, dass man kaum weiß, was man mehr bewundern soll: ihre klare, kühle Stimme, ihr sprechendes Mienenspiel oder ihre, dem expressionistischen Tanz der Entstehungszeit entlehnten Gesten. Alles vereinigt sie zu einer stilsicher gezeichneten Figur, die virtuos zwischen der Dogmatik des Lehrstücks und der Sentimentalität einfacher Menschen hindurch laviert und von beidem aufnimmt, was nötig ist, um glaubwürdig zu sein.
Dass Kosky ein wirklich großer Regisseur von Opern ist, hat er hinlänglich bewiesen, und nur jemand dieses Formats kann sich ein solches Theater der Nichtregie leisten. Es wird reich belohnt, nicht nur von Dagmar Manzel, die sich ganz bei sich fühlen darf, sondern vor allem von Kurt Weill. Auch er steht steht ungewohnt allein da. Und endlich kann man zuhören ohne Ablenkung durch ein falsches Theater. Kein „Mackie Messer“ und „Moon of Alabama“ mehr, unter der Leitung der jungen estnischen Dirigentin Kristiina Poska spielt das Orchester mit großer Klangschönheit Instrumentalsätze von erstaunlichem Reichtum jenseits jedes Stilkanons. Der Blues klingt mit, aber auch seltsam verrückte Klassik, sogar Romantik, Gesellschaftstänze werden zitiert und ausgerenkt zugleich.
Brechts Text klingt geradezu bieder neben dieser Musik, die weit radikaler eigene Wege geht und aufbricht zu einer Moderne eigenen Rechts. Vielleicht haben wir sie noch immer nicht verstanden. Und man versteht sie wohl nur, wenn man so sehr liebt, wie Kosky das tut.
■ Nächste Aufführungen: 22. Februar und 10. März