Angstfrei durch die Referenzhölle

POP Die Future Islands aus Baltimore singen lauthals von der Liebe, dem Leben und dem Meer und entgehen der Retro-Falle mit euphorisierendem Sturm und Drang

Die Angstfreiheit, mit der Future Islands im Studio und auf der Bühne die ganz großen Gesten reanimieren, hat etwas wunderbar Gelöstes

von Benjamin Moldenhauer

Irgendwann im Laufe der letzten zwei Jahrzehnte hat sich die Popkultur zu einer offensiv geschichtsversessenen Veranstaltung gewandelt. Die großen Genres – Punk, Techno, Hip-Hop – sind bis ins letzte Subgenre ausdifferenziert. Bands führen ihre kanonisch gewordenen Alben auf, als seien es klassische Werke. Das Internet fungiert als entgrenztes Archiv, das auch noch die obskursten Fußnoten der Musikgeschichte allgemein verfügbar und zitierbar macht.

Der britische Musikjournalist Simon Reynolds hat die omnipräsente Rückwärtsgewandtheit des Pop, der ursprünglich einmal von einem kompromisslosen Drang nach vorn beseelt schien, in seinem Buch „Retromania“ detailliert beschrieben und kommt zu einem eher ernüchternden Ergebnis. Zumindest die unreflektierte Retromanie sei ein Signum der Ermüdung und der Langeweile. Das Neue ist im ununterbrochenen Blick zurück nicht einmal mehr als Ideal präsent.

Wer die Future Islands zum ersten Mal hört, könnte die Band als Klang gewordenen Beleg für Reynolds’ These verstehen. Die Songs rufen unüberhörbare Reminiszenzen an die achtziger Jahre ins Gedächtnis: Synthesizerflächen, die an Talk Talk und Roxy Music erinnern, dazu immer wieder Melodiepartikel, die an die Cocteau Twins gemahnen. Das Schlagzeug hat sich das Trio gespart, und auch die Gitarre bleibt von ein paar die Regel bestätigenden Ausnahmen abgesehen vor der Tür. Der Katalog des Factory-Records-Labels schimmert bei den treibenderen Stücken durch, und der Bassist hat das Lebenswerk von Peter Hook inhaliert; es wummert so kantig, wie sonst nur bei Joy Division und später dann New Order. Wer die bislang drei Alben der Band durchhört und grob weiß, wie Wave, Synthiepop und Postpunk vor gut 25 Jahren geklungen haben, kann sich im Handumdrehen ein gut ausgekleidetes Referenzuniversum basteln und am eigenen Checkertum erfreuen.

Wäre das schon alles, es wäre allerdings etwas mau. Es gebe zwar nichts Authentisches im Pop, schreibt Ulrich Gutmair in der aktuellen Spex, aber auch der postmodernste Verweispop funktioniere nicht ohne authentische Kommunikation, die an irgendeiner Stelle dann eben doch stattfinden müsse: „Im Text, im Sound, in einem Wort, in einem Unterton, in einer Bewegung, irgendwo muss etwas schwingen, das irgendwen anspricht.“

Im Falle der Future Islands ist es zuerst die Stimme, die schwingt. In Samuel T. Herrings Gesang mischen sich, es geht schon wieder los mit den Referenzen, ein punkinfizierter Tom Waits, Morrissey, in expressiveren Momenten Gavin Fridays und, tatsächlich, Meat Loaf – was als Amalgam so disparat, aufgedreht und theatralisch klingt, wie es sich eben auch gehört, wenn man lauthals von der Liebe, dem Leben und dem Meer erzählt. Darunter machen es die Future Islands nicht. Die Platten strotzen vor schönem Kitsch und tief empfundenen Leidensgesten, und die zweite, „In Evening Air“, ist die schönste bislang.

Auch live kommt die Band ohne Ironie aus. Bassist und Keyboarder stehen wie versteinert und gucken geradeaus, während der Sänger sich in einer bislang tatsächlich ungesehenen Mischung aus Ausdruckstanz und stilvollem Croonertum verausgabt. Bestimmt wird die wüste Mixtur nicht durch das für Retrophänomene typische und oft unerquickliche Umhersurfen auf der Meta-Ebene, sondern durch Euphorie und Sturm und Drang. An den Stücken der Future Islands kann man nachhören, was matte Retromanie von geschichtsbewusstem Pop unterscheidet. Irgendwo hat man den einen Synthiesound, die eine jubilierende Hookline sicher schon mal gehört, in der Amalgamierung aber klingt das hier tatsächlich neu. Das Geheimnis ist, mit Begeisterung immer wieder haarscharf am Direktzitat vorbeizurauschen.

So entsteht ein Überschuss, der die Musik nicht nur an die ausformulierten Klangwelten, sondern auch an die inzwischen etwas verblassten Versprechen des Pop anzubinden. Die Zeichen dienen nicht dazu, die eigene Cleverness auszustellen, sondern sind der Grundstoff für Songs, die eins zu eins funktionieren, ohne darüber blöd zu werden. „Schlausein ist nicht alles im Leben der Erwachsenen“, weiß Gutmair – „an und an muss man zeigen, wer man ist, die Wunde hinhalten.“ Man muss es vielleicht nicht gleich Authentizität nennen, aber die Angstfreiheit, mit der Future Islands im Studio und auf der Bühne die ganz großen Gesten reanimieren, hat etwas wunderbar Gelöstes.

■ Sonntag, 20 Uhr, Lagerhaus