: „Die Geschmacksvielfalt fällt gering aus“
BIERKULTUR Deutschland pflegt zu wenig Bierstile, findet die Inhaberin des Spezialitäten-Geschäfts „Bierland“, Esther Isaak de Schmidt-Bohländer. Ein Gespräch über Pils, Hopfen und Hamburg als historische Weißbier-Stadt
■ 47, geboren in Paraguay, jobbte während des Sprach-Studiums beim „Bierland“. Seit 2005 Inhaberin.
INTERVIEW E. F. KAEDING
taz: Frau Isaak de Schmidt-Bohländer, als Mitglied der „Kampagne für Gutes Bier“ setzen Sie sich für die Förderung der Biervielfalt in Deutschland ein. Das Aufkommen von so bunten Kreationen wie Green Lemon und Black Currant mit Johannisbeere freut Sie bestimmt.
Esther Isaak de Schmidt-Bohländer: Für mich ist das Limonade, kein Bier. Unter Vielfalt würde ich verstehen, dass es neben dem Pils, das in Deutschland und Hamburg dominiert, auch britisches Ale, Stout, Alt- oder belgisches Sauerbier gibt. Für mich wäre Förderung der Vielfalt, wenn mehr Bierstile da sind. Es gibt immerhin 80 verschiedene Sorten.
Deutschland hat 1319 aktive Brauereien, Oberfranken allein besitzt mit über 200 kleinen Braustätten weltweit die größte Brauereidichte. Warum reicht das nicht für Abwechslung?
Die brauen traditionell alle das gleiche. Das Problem ist, dass etwa 90 Prozent unserer Biere untergärig sind, also Pils, Dunkelbier oder Lager. In der Regel werden die mit der gleichen Hefe und demselben Hopfen hergestellt. Die Sorten- sowie die Geschmacksvielfalt fällt also sehr gering aus.
Den Deutschen schmeckt demnach Pils am besten?
Geschmack ist ja nicht nur subjektiv, sondern auch sehr konservativ. Erklären Sie mir, warum man Hamburger von McDonalds isst? Es ist eher ein anerzogener Geschmack durch die industrielle Entwicklung. Ende des 19. Jahrhunderts wurde das Kühlsystem erfunden, dadurch ließ sich untergäriges Bier (Brautemperatur 4 bis 9 Grad Celsius, d. Red.) das ganze Jahr hindurch herstellen. Es ist finanziell interessanter, Pils zu brauen, weil es länger haltbar ist als obergäriges Weizen oder Ale.
Weizenbier verbindet man vor allem mit dem Süden der Republik. Dabei war Hamburg historisch eine Weizenbier-Stadt. Warum ist davon heute nichts mehr zu spüren?
Es ist ein Phänomen, das ich selbst auch nicht richtig verstehe. Die Bayern hatten historisch gesehen gar keine Ahnung von Weißbier; die haben noch Flusswasser getrunken, während wir im Norden längst gebraut haben. Man war hier anscheinend der neuen Technologie für untergäriges Bier extrem verfallen und hat dann die Industrieanlagen darauf zugeschnitten.
Der industrielle Fortschritt ging also auf Kosten der Weizenbierproduktion im Norden und der deutschen Biervielfalt im Allgemeinem?
Die Deutschen sind eben nicht so sehr die Geschmack-Fans. Wir begeistern uns mehr für Technik. Wir haben im Land richtig tolle Brauereien für untergärige Biere, aber die wollen auch ausgelastet sein, und so fließt Pils in 100.000 Hektolitern auf den Markt. Ich will das nicht schlecht machen. Wir brauen ein tolles Pils. Ein „Industrie-Bier“, das jeden Tag gleich schmecken muss, gut hinzukriegen, ist nicht leicht. Trotzdem plädiere ich für Klasse statt Masse.
Wenn wir Bier aber eher in Mengen „saufen“ als in kleiner Runde genießen, wie lässt sich da jemals auf geschmackliche Vielfalt in Deutschland hoffen?
Dänemark hatte ja ein ganz ähnliches Problem. Vor gut 15 Jahren haben dann die „Micro-Brewer“ angefangen, extrem Wind zu machen. Diese sogenannten Øl-Enthusiasten sind so Bier-affin, dass sie Carlsberg, immerhin der viertgrößte Brauereikonzern der Welt, mittlerweile 10 Prozent des Marktes im Land abgenommen haben. Als Reaktion hat Carlsberg Spezialitäten wie Stout gebraut. Das wäre auch hier möglich, Holsten gehört zu Carlsberg. Das Know-how ist also da.
Was der Wein kann, kann das Bier schon lange. Welches Bier korrespondiert zu welchem Essen? Eine Auswahl:
■ Weizen (hell): indisches Curry (als „Brandlöscher“), Meeresfrüchte, Käse, Salat
■ Weizen (dunkel): Rind, Wild
Pils: Steak, Fisch, Braten, Käse
■ Lager (hell): Geflügel, Fisch, Käse, Salat
■ Lager (dunkel): Braten, Fisch, Käse
■ Altbier: Sauerbraten, Wild, Eintopf, Fisch
■ Bockbier: Steak, Wild, Käse
■ Kölsch: Eintopf, Fisch, Braten
■ Malzbier: Braten
Gibt es denn in Deutschland „Micro-Brewer“?
Eine richtige Szene wie in den USA und Dänemark gibt es in Berlin. Da ist deutlich mehr los als in Hamburg. Hier in der Region haben wir nur die kleine Ricklinger Landbrauerei in Neumünster. Die machen allerdings ein paar tolle Biere: Stout, Bock, Rauchbier, ihr britisches Porter ist so heftig, da gibt es nur Freund oder Feind. Aus der Hauptstadt könnte demnach der nötige Anstoß kommen für mehr Vielfalt?
Ein Problem ist, dass wir hierzulande keine professionelle Biervereinigung haben. Jemand, der sich traut, zur Situation Stellung zu beziehen, um dann etwas zu verändern. Das ist wieder so ein German-Angst-Faktor, man will niemanden verprellen.
Eine persönliche Frage zum Abschluss: Meine Bier-Sozialisierung erfolgte mit Faxe, ein industrielles Einheitsbier. Ist bei mir, Vorsicht: Hopfen und Malz verloren, oder kann auch ich noch auf den Geschmack von Stout, Ale und Porter kommen?
Ich werfe es gar keinem vor, dass er nur Faxe oder Astra trinkt. Sie können nichts für Ihre Sozialisierung, wenn die Region nicht mehr Vielfalt anbietet. Hoffnung gibt es aber immer, gerade für Männer: Da sensibilisieren sich die Geschmacksnerven offenbar erst mit 55 bis 60 Jahren. Ich sehe das jeden Tag in meinem Laden: je älter die Kunden, desto differenzierter der Geschmack.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen