berliner szenen: Zu wenig Fachkräfte, stimmt!
Man liest ja sehr abstrakt vom „Fachkräftemangel“. In der Tram höre ich morgens um acht folgendes Telefonat eines 20-Jährigen mit. „Und dann hab ich gesagt, zum Schleifen geh ich am besten in die Küche. Da stört der Lärm niemanden und ich kann nebenbei am Handy chillen. Hab den ganzen Nachmittag mit David gechattet.“ Umsteigen am Nordbahnhof, morgens gegen zehn: „Wegen eines kurzfristigen Personalausfalls“ fährt die S 2 nicht.
Ich muss zur Post. Zwei von fünf Schaltern sind besetzt, viele gehen gleich wieder, weil sie wegen einer Briefmarke nicht so lange warten wollen. Auch am Geldautomaten warte ich noch mal zwanzig Minuten. Es geht wie immer nur einer. Ich wollte schon längst die Bank wechseln, fällt mir ein. Aber die Sparkasse, die gerade massiv um Neukunden wirbt, beantwortet nicht mal meine Mail nach einem Termin.
Nachmittags habe ich einen Kurs an der Uni. Am Bahnhof Friedrichstraße geht seit Wochen der Aufzug nicht, deshalb schiebe ich mein Rad zur Rolltreppe. Die ist jetzt auch kaputt. Die Nachricht von der Uni, dass heute alle Veranstaltungen ausfallen, habe ich nicht mehr rechtzeitig gelesen, ich stand ja so lange in der Post. Die Dozentin spricht kein Deutsch, sie hat das mit Unterrichtsausfall erst kapiert, als sie schon in der Uni war. Wir machen also Unterricht zu zweit. Dann fällt mir ein: Ich könnte den freien Tag nutzen, um mir bei der Bundeszentrale für politische Bildung zwei Bücher zu holen. Leider schließt das Medienzentrum montags schon um 16 Uhr. Genau dann, wenn die Hauptzielgruppe Schulschluss hat.
Also zurück nach Hause? Fehlanzeige! Am Anhalter Bahnhof eine Durchsage: „Die S 26 muss leider entfallen.“ Ohne Angabe von Gründen. Vermutlich waren schon alle aufgebraucht.
Gaby Coldewey
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