: Hohelied der Westkunst
JUNGE FOTOGRAFIE: Schwarmintelligenz schützt vor Fehlern nicht. Oder: Warum die Düsseldorfer Ausstellung „State of the Art“ scheitert
VON STEFFEN SIEGEL
In Düsseldorf wird gegenwärtig ein ziemlich großformatiges Versprechen gegeben: Nicht weniger als den aktuellen Stand der Dinge zur künstlerischen Fotografie der Gegenwart will man in den zwei Hallen des NRW-Forums präsentieren. Gelegener kann eine solche Ausstellung gar nicht kommen – ist das entsprechende Terrain doch inzwischen vollkommen unübersichtlich geworden. Der Markt für zeitgenössische Fotografie wird größer und größer, die Preise steigen und selbst schon für vergleichsweise junge Fotografen werden inzwischen immer opulentere Retrospektiven ausgerichtet.
Vor allem aber gibt es von den „Guten Aussichten“ über das Leipziger F/Stop-Festival und die „Talents“-Serie im Berliner C/O bis hin zu den Darmstädter Tagen der Fotografie im Grunde das ganze Jahr hindurch beste Gelegenheit, neue Arbeiten zu sehen und junge Fotografinnen und Fotografen zu entdecken.
Erklärtermaßen hat man es in Düsseldorf auf die Avantgarde einer solchen Entwicklung abgesehen. Nicht automatisch heißt dies, dass man es ausschließlich mit jungen Künstlern zu tun hat. Und doch fällt auf, wie bezwingend gerade die Arbeiten der ganz jungen Generation sind. Gewiss gehören hierzu Pepa Hristovas verstörende Porträts von „Sworn Virgins“ von albanischen Frauen, die lange schon in der sozialen Rolle eines Mannes leben und auch äußerlich immer männlicher zu werden scheinen.
Oder Edgar Leciejewskis Erkundungen im gegenwärtig größten Bildarchiv der Welt: Während man sich bei Google Street View einzig für die Straßenansichten der Großstädte interessierte, war der Leipziger Fotograf auf der Suche nach zufällig ins Bild getretenen Szenen, die Auskunft vom Leben in den abfotografierten Städten geben. Durch die Übersetzung ins riesige Bildtableau gewinnen diese ganz beiläufigen Alltagsminiaturen eine fast poetische Präsenz.
Es ist klar, dass eine solche Überblicksausstellung von ihren Gegensätzen lebt. Nicht wenige der gezeigten Positionen aber haben einen gemeinsamen Fluchtpunkt im Grundsätzlichen der Medientheorie: Re-Inszenierungen einer längst vergangenen Familiengeschichte wie in Maziar Moradis Serie „1979“, Annette Kelms gewitzte Ironisierung des klassischen Stilllebens oder Peter Ainsworths Randgänge zwischen Landschaftsfotografie und Abstraktion fragen ebenso nach den Möglichkeiten eines fotografischen Zeigens wie etwa Laura Bielaus Serie „Fotografin“.
In ihr stellt sie Albert Renger-Patzschs vor bald einem Jahrhundert gegebene Behauptung „Die Welt ist schön“ noch einmal auf die Probe. Auf herausfordernde Weise verwischt Jan Paul Evers in seinen strengen Schwarz-Weiß-Bildern die Grenze von Fotografie, Malerei und Zeichnung. Und Stefan Burger errichtet in einer raumgreifenden Installation nicht weniger als ein „Analoges Monument“.
Nicht ohne Stolz legt man in Düsseldorf Wert auf die Feststellung, dass es die Künstlerstars der kommenden Generation sind, die man zeigen will. Was also, hat man sich im NRW-Forum offenbar vor einiger Zeit gesagt, liegt näher, als Andreas Gursky, der unterdessen an der Düsseldorfer Kunstakademie und damit direkt auf der anderen Straßenseite eine eigene Klasse für freie Kunst hat, nach seinen Prognosen zu fragen. Und wenn man schon einmal zum Telefonhörer greift, kann man auch gleich noch F.C. Gundlach und Thomas Seelig, Andréa Holzherr und Klaus Biesenbach, Thomas Weski und Udo Kittelmann anrufen, um sie ihrerseits um Vorschläge für „The State of the Art Photography“ zu bitten.
Das Motto lautete ganz offenbar: kuratorische Schwarmintelligenz. Nimmt man jedoch den großmäuligen Titel der Ausstellung beim Wort, so lässt sich nicht übersehen, dass die Sache im Ganzen leider gründlich schief gegangen ist. Dass eine Ausstellung, die auf die vereinte ästhetische Urteilskraft eines virtuellen „Advisory Board“ setzt, keine stringente Handschrift besitzt, kann nicht überraschen. Geschenkt ist auch, dass es bei insgesamt 41 gezeigten künstlerischen Positionen Qualitätsschwankungen gibt und manches, was man selber für den gegenwärtigen Stand der Dinge halten mag, fehlen wird.
Und doch muss man sich fragen, ob es wirklich nötig ist, mit Armin Morbach und Andreas Mühe zwei genauso prominente wie sachfremde Namen ins Line-up zu schreiben. Kunstkritische Erwägungen jedenfalls, so kann man sich vor deren Bildern überzeugen, dürften keine entscheidende Rolle gespielt haben. Wollte man der Behauptung dieser Ausstellung ernsthaft Glauben schenken, dann ist der „State of the Art Photography“ eine deutsche, ein wenig auch eine europäische und zuweilen noch eine nordamerikanische Angelegenheit.
Es ist ebenso unverständlich wie ärgerlich, dass noch einmal das lange schon altmodisch gewordene Lied der Westkunst gesungen wird. In Düsseldorf sind es gerade einmal drei Porträts der Südafrikaner Michael Subotzky und Patrick Waterhouse, die gänzlich auf sich gestellt daran erinnern müssen, dass gerade das Medium Fotografie wesentlichen Anteil an der Formulierung einer globalen Bildkultur hat – innerhalb der zeitgenössischen Kunst und weit darüber hinaus.
Sichtlich fehlt es dem im NRW-Forum ausgebreiteten Bilder-Parcours an einer leitenden Frage, auf die diese Ausstellung eine Antwort hätte geben können. Das bloße Nebeneinander der vielen Arbeiten wird keiner der gezeigten einzelnen Positionen gerecht, so spannend diese für sich genommen auch sein mögen. Wer den Stand der Dinge in Aussicht stellt, sollte mehr als ein bloßes Potpourri präsentieren. In Sachen zeitgenössischer Fotografie wird man aber so lange nichts Neues oder gar Überraschendes zu sagen haben, wie man einer These aus dem Weg geht, die nicht zuletzt begründen könnte, warum wir etwas überhaupt als den Stand der Dinge betrachten sollen.
■ „State of the Art Photography“. NRW-Forum Düsseldorf. Bis 6. Mai. Katalog, Feymedia, 35 Euro
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen