Osman Engin Alles getürkt: Ayhan gegen Ayran
Wegen der grauenhaften Hitze in der Türkei kann sich tagsüber kein Mensch vom Fleck rühren. An Sport ist nicht mal zu denken. Deshalb wird jede Nacht von 21 Uhr bis Sonnenaufgang Open-Air-Fußball gespielt. In einem so genannten Teppich-Stadion.
Stundenweise kann man dieses private Stadion, das mit grünem Kunstrasen ausgelegt ist, mieten. Gespielt wird fünf gegen fünf. Bürokumpels, Studentengruppen, Straßengangs – wenn es etwas kühler wird, wollen sich alle mal in diesem Drahtkäfig für eine Stunde austoben. Und ich schaue mir jede Nacht von 24 Uhr bis 1 Uhr das Spiel meines Neffen Ayhan und seiner Freunde an. Nicht zu verwechseln mit Ayran, dem köstlichen Joghurtgetränk. Ayhan selber mag seinen Fast-Namensvetter Ayran überhaupt nicht. Für seinen Geschmack hat Ayran zu wenig Kohlensäure, gar kein Koffein, überhaupt keinen Zucker und die braune Farbe fehlt auch völlig.
„Mein lieber Neffe Ayhan, heute Abend will ich auch mal bei euch mitspielen“, verkünde ich zu Hause im Wohnzimmer stolz, während ich ein Wollknäuel auf dem rechten Fuß elegant tänzeln lasse, um mein fußballerisches Können zu demonstrieren.
„Das geht nicht, Onkel Osman. Heute Abend steht sehr viel auf dem Spiel. Es geht um eine Kiste Kola. Mit deinem Bauch wirst du uns im Spiel nur im Weg stehen.“
„Aber Ayhan, gerade deswegen will ich doch mitspielen. Ich will meinen dicken Bauch endlich loswerden.“
„Onkel Osman, kannst du deinen dicken Bauch denn nicht woanders loswerden? Meine Kumpels würden mich doch erwürgen, wenn wir wegen dir eine Kiste Kola verliere.“
„Mach dir keine Sorgen, Junge. Falls wir verlieren sollten – mit mir im Sturm können wir eigentlich gar nicht verlieren – dann werde ich aus eigener Tasche eine Kiste Kola bezahlen. Also für euch gibt es überhaupt kein Risiko, wie du siehst.“
„Na gut, aber ich muss erst mal meine Kumpels fragen.“
Zum Glück sind seine Kumpels einverstanden. Aber sie bestehen drauf, dass falls wir verlieren sollten, ich auch für die eigene Mannschaft eine Kiste Kola spendieren muss, weil sie ja ohne mich doch nie verlieren würden. Zu allem Überfluss verlangen die Gauner auch noch, dass ich ihren Anteil für die Platzmiete übernehme. Selbst diese bodenlose Ungerechtigkeit hält mich nicht davon ab, der unverschämten türkischen Jugend zu zeigen, wie wahrer Fußball zelebriert wird.
Osman Engin
ist Satiriker in Bremen. Zu hören gibt es seine Kolumnen unter www.youtube.com/@osmanengin1916. Sein Longseller ist der Krimi „Tote essen keinen Döner“ (dtv).
Mitten in der Nacht um 24 Uhr laufe ich mich neben dem Platz richtig warm, was sehr schnell geht, kein Wunder, bei immer noch 30 Grad – und werde unter dem frenetischen Beifall der beiden Zuschauer (Eminanim und Hatice) in der 21. Minute eingewechselt. Und mit Meniskusschaden im linken Knie, Knöchelverstauchung am rechten Fuß und einer schweren Zerrung an der linken Wade, in der 22. Minute mit riesigen Schmerzen wieder ausgewechselt.
Obwohl ich kein einziges Mal den Ball berührt habe, zwingen mich diese Versager zwei Kisten Kola auszugeben und die Hälfte der Platzmiete muss ich auch noch bezahlen.
Danach verabschiede ich mich frustriert von Ayhan und seinen Gaunerkumpels und gehe eiskalten Ayran trinken, um mich etwas abzukühlen.
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