berliner szenen: Im Zickzack durch die Ausstellung
Am Sonntag um 9 Uhr früh ins Museum. Das ist hardcore. Habe ich noch nie gemacht. Aber letzten Sonntag hatte ich keine andere Wahl. Denn am Abend vorher sagte mir meine innere Stimme um halb zwölf: Schau mal wieder auf die Webseite der Alten Nationalgalerie nach einer Karte für die Caspar-David-Friedrich-Ausstellung! Folgsam nehme ich mein Handy, warte auf das wohlbekannte „Keine Karten verfügbar“ – aber da poppt eine einzige Karte auf: Am nächsten Tag, also Sonntag 9 Uhr! Wunder muss man nehmen, wie sie kommen, denke ich mir. Kritik ist hier fehl am Platz. Lieber Wecker stellen und um 9 Uhr auf der Matte stehen.
Um 9.16 Uhr biege ich mit meinem Bambus-Coffee-to-go-Becher in der Hand in die Zielgerade ein. Ich sehe die Schlange von jetzt schon 50 Leuten, die komplett von der Gnade des Personals abhängig sind. In der Zweiklassengesellschaft, die sich vor dem Museum etabliert, gehöre ich zu den Privilegierten, zeige stolz mein Onlineticket und bin drin.
Massen von Menschen schieben sich hin und her. Ich schlüpfe in die Lücken und gehe ganz nah an die Bilder ran. Ich versinke in einer Blumenwiese und sehe mir zwei Waschfrauen an. Ich bin so in den Bildern drin, dass ich den ganzen Rummel um mich vergesse und beim Auftauchen einige Sekunden brauche, um mich zurechtzufinden. Bis eine laute Stimme mich aus meiner Kontemplation reißt, denn um 10 Uhr beginnen die Führungen! Ich fliehe in die Ausstellungsecken, in der mich die Beschallung nicht erreicht. Ich fliehe auch vor dem älteren spanischen Paar, das jedes Bild bespricht. Bald renne ich im Zickzack durch die Ausstellung. Ich setze mich auch mal hin, denn Kunst am frühen Morgen ist anstrengend. Um zwölf bin ich wieder draußen und die Leute in der Schlange tun mir leid.
Katja Kollmann
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