berliner szenen: Ein Wegbier auf Frankreich
Es ist ein Sonntagabend, ich komme von einer Lesung und stelle fest: Jetzt ist es Sommer. In der S-Bahn stehen die Fensterklappen auf, alle tragen leichte Kleidung und mehr oder deutlich weniger schöne Füße in Sandalen und träumen sich aus der Stadt in den Urlaub. Wahrscheinlich ans Meer, der Mann mit dem Klapprad vielleicht auch in die Berge.
Mir wäre es komplett egal, ich würde nur auch gern wieder weg.Ich war nämlich eine Woche auf dem Land an der Mecklenburgischen Seenplatte zu einer Fortbildung, die mir neben vielen Workshops vor allem auch Urlaubsmomente bescherte. Beim Schwimmen in einem verwunschenen See und bei Spaziergängen entlang hochstehender Kornfelder, die einzeln mit lila und roten Mohnblumen gespickt waren. Seitdem will ich richtig Urlaub machen.
Jetzt in der Bahn bilde ich mir ein, es sehen zu können, wie die Leute sehnsüchtig auf Bilder im Handy schauen oder die Augen schließen. Bald beginnen die Schulferien, dann wird es leer in der Stadt. Das mag ich eigentlich.
Eine Gruppe von Franzosen kommt herein, sie sind total betrunken, lachen und scherzen. Einer ruft irgendwann: „Vive la France!“
Ich lächle, überlege verwirrt, ob heute doch ein EM-Spiel stattfand, da ruft mir eine Frau entschuldigend zu: „We are so relieved because of the vote!“
Und bevor ich noch im Handy nachsehen kann, klären sie mich auf, dass die Linke stärkste Kraft geworden ist und wie froh sie sind. Einfach nur froh und wie toll das ist nach den letzten Prognosen. Ich freue mich mit und sage, wie erleichtert auch ich bin. Einer aus der Gruppe reicht mir ein Bier mit den Worten: „Ça va marcher!“ Und ich nicke, stoße auf Frankreich an und trinke Bier mit einem endlich wieder zuversichtlichen europäischen Gefühl im Bauch.
Isobel Markus
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