berliner szenen: Münzen für all die Musiker
Es ist ein sonniger Samstagnachmittag und in der S-Bahn ist die Stimmung gut. Ich will mich mit den anderen am Schlachtensee treffen, habe eine Decke, Kekse, Wasser und Bier dabei und nur pro forma auch Badesachen. Baden gehe ich bei den Temperaturen bestimmt noch nicht, aber ich möchte guten Willen zeigen.
Im Vierersitz sitzt mir ein altes Paar gegenüber. Sie haben die gleichen Nasen und ähnliche Brillen mit breitem Rand und gucken vergnügt in der Gegend umher. Er trägt ein hellblaues Kurzarmhemd mit Hosenträgern darüber, sie ein gestreiftes Kleid und auf ihrem Schoß hält sie einen Picknickkorb, der aussieht, als wäre er für eine Großfamilie gemacht.
Ein Gitarrenspieler kommt herein und spielt ein fröhliches Lied. Als der Mann mit seinem Hut umhergeht, kramen die beiden in ihren Geldbörsen, fischen ein paar Münzen heraus und werfen sie in den Hut.
Kurz darauf betritt einer mit einem Akkordeon die S-Bahn und beginnt, ein altes Volkslied zu spielen. Der ältere Mann greift mit leicht gesenktem Kopf den Arm seiner Frau, als würde er sie zu einem Tanz auffordern wollen, dann schunkeln die beiden ein wenig. Sie sagt: „Dem müssen wir jetzt auch etwas geben.“ Er nickt und kramt wieder in seiner Geldbörse.
Eine Station später betritt der russische Opernsänger die S-Bahn. Ich kenne ihn schon. Er sieht aus wie ein Wikinger und hat eine beeindruckende Stimme. „Das ist doch aus Boris Godunov, oder nicht?“, überlegt der ältere Mann. Sie lauscht und nickt. Dann geben sie auch ihm etwas Geld und er sagt zu ihr: „Jetzt müssen wir aber bald aussteigen, sonst können wir uns nachher doch kein Eis mehr leisten.“
Im Aufstehen bemerkt er: „Die Qualität der Straßenmusiker ist viel besser geworden, oder? Offenbar gibt es zu wenige Bühnen heutzutage.“
Isobel Markus
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