berliner szenen: Das geht auch ohne Studium
Dass mein Studium sinnlos war, vermutete ich zwar schon länger, bestätigt bekam ich es letzte Woche. Bis abends quälte ich mich mit einem Gutachten über das Werk eines schwer verdaulichen Schriftstellers. Tausende Seiten über die Abgründe der menschlichen Seele, Ehebruch, Vergewaltigung, Mord und Totschlag. Ich verabredete mich zum Antifrustbier im Park, das ich zu besorgen versprach. Da ich schon mal mit dem Besitzer des Spätkaufs wegen einer verweigerten Pfandrücknahme aneinander gerasselt war, wollte ich alles richtig machen.
Das Geld abgezählt in der Hand und zwei leere Flaschen, damit er seine Kästen wieder auffüllen kann. Seine hohle Hand empfing meine Münzen, mit einem Schulterblick wies er mich auf eine leere Getränkekiste, in die ich im Hinausgehen meine Gebinde gleiten ließ. Ich war schon auf der anderen Straßenseite, da schoss er aus dem Laden, winkte mich zurück und zeigte fuchtelnd auf die Getränkekisten. Man muss nicht studiert haben, setzte er an, um zu wissen, in welche Kiste welche Flasche kommt. Du hast gerade die zwei Bierflaschen hier rein gestellt, erklärte er, hob die Kisten mit einem Arm an, wobei sie kippten und die Flaschen auf den Boden fielen. Siehst du, was passiert. Scherben. Neulich wollte mich eine Frau verklagen. Ihre Tochter ist da barfuß rein. Ich verstand nicht, was er von mir wollte. Er setzte seine Suada fort: Wenn ich lernen will, wie man die Gerichte in der Pizzeria gegenüber kocht, dann schaue ich eine Woche zu und kann alles. Da muss ich nicht studiert haben!
Ich dachte, wenn man bei dir schon selbst Flaschen einsortieren muss, dann stell doch eine Referenzflasche in den Kasten, damit man sieht, um welchen Kasten es sich handelt. Doch ich schwieg, stolperte rückwärts aus dem Laden. Er schimpfte weiter. Timo Berger
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