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Archiv-Artikel

Politik als Psychotrick

Könnte die Wirtschaft unter einer CDU-FDP-Regierung besser laufen als bisher? Ja, aber ironischerweise nur, wenn sie keines ihrer großen Vorhaben ernsthaft umsetzt

Jede Regierung findet beste Voraussetzungen, in den Genuss eines positiven Trends zu kommen

Eine Zeitung kam gleich auf das Wesentliche. „Wo investieren, wenn im September die Union an die Macht kommt?“, fragte die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung und lieferte die Antwort: „Die Profis raten zu Aktien von Mittelständlern und Versorgern.“ Investmentexperten erzählen immer gerne, dass ein Wechsel von Rot-Grün zu einer schwarz-gelben Regierung auch irgendwie die Unternehmerschaft in bessere Laune versetzen und damit mehr Arbeitsplätze schaffen werde. Doch trifft das wirklich zu ?

Welchen Einfluss Politik heute noch auf die Wirtschaft haben kann – das ist sicher die entscheidende Frage hinter der Hysterie um die Neuwahlen. Um sie zu beantworten, muss man die historisch einmalige Situation betrachten. Mit ihr muss sich jede künftige Regierung auseinander setzen, egal welcher Couleur.

Es hat sich gezeigt, dass die traditionellen Handlungsanweisungen von neoliberaler Seite genauso wenig greifen wie eine immer höhere Staatsverschuldung durch öffentliche Investitionsprogramme. Lohnverzicht, Einsparungen im Sozialen und Steuersenkungen – unter Rot-Grün wurde es ausprobiert. Das Ergebnis: Die internationale Wettbewerbsfähigkeit ist gut, der Export brummt, aber die mangelnden Investitionen im Inland und der geringe Konsum der BürgerInnen legen die Wirtschaft lahm und lassen die Arbeitslosenzahlen auf hohem Niveau verharren.

Auch der Blick ins Ausland zeigt, dass die neoliberalen Formeln nicht stimmen müssen. In den skandinavischen Ländern etwa herrschen hohe Abgaben, aber niedrige Arbeitslosenzahlen. Demgegenüber stehen die USA für niedrige Steuern und einen stabilen Jobmarkt. Beides ist also möglich. Doch keines dieser Länder kann alleiniges Vorbild für Deutschland sein.

Damit kommt man zum zweiten historisch einmaligen Aspekt: Selten zuvor ist die Wirtschaft – also ausgerechnet der Gesellschaftsbereich, in dem Zahlen die wichtigste Rolle spielen – so stark psychologisiert worden wie derzeit in Deutschland. Alles scheint an der „Stimmung“ im Inland zu hängen, also daran, ob die Unternehmer hierzulande investieren, weil sie auf die Nachfrage der Verbraucher setzen können, die wiederum auf die Politik hoffen, dass die Zeiten besser werden, während die Politik gelähmt auf die Wirtschaft und die WählerInnen starrt.

Es scheint, als habe sich die Gesellschaft in einen geschlossenen Regelkreis verwandelt, in dem sich Konsumenten, Politik und Wirtschaft wechselseitig beeinflussen, die Kausalitäten jedoch unklar sind. Die entscheidende Frage dabei lautet: Wie speist man in diesen Regelkreis die Hoffnung ein?

Hoffnung, Zukunftserwartung, ist eine wirtschaftlich höchst relevante Größe, wie jede Aktienbesitzerin weiß. Man muss sich deshalb die Gesetzmäßigkeiten der politischen Psychologie anschauen, nach denen Hoffnung entsteht. Dort herrscht Vereinfachung: Hoffnung braucht Retter und messbare Aufwärtstrends.

Den Wunsch nach Rettern könnte eine schwarz-gelbe Regierung möglicherweise bedienen. In diesen schlechten Zeiten schauen alle auf investitionsunwillige Firmenchefs – und da könnte die CDU mehr Zuversicht verbreiten, weil sie traditionell als unternehmerfreundlich gilt. Der Mittelständler, der Rot-Grün schon immer hasste, aber unter Schwarz-Gelb vielleicht, vielleicht, ein bisschen mehr investiert, diese Figur könnte zum Retterbild werden, dem sich die BürgerInnen unterwerfen, indem sie bei der adäquaten Partei ihr Kreuzchen machen. Die SPD verfügt über keine vergleichbaren Heldenmodelle in der Wirtschaft.

Hinzu müssen messbare Aufwärtstrends kommen. Die gefühlte Zuversicht in Deutschland ist an zwei Werte gekoppelt: die Arbeitslosenzahl und die Wachstumsquote. Dabei findet jede künftige Regierung die besten Voraussetzungen vor, in den Genuss eines positiven Trends zu kommen. Deutschland verfügt dank Hartz IV über die ehrlichste Erwerbslosenstatistik der Welt mit gnadenlos hohen Arbeitslosenzahlen – es ist wahrscheinlich, dass die Werte im Herbst ein bisschen günstiger ausfallen, zum Beispiel weil sich einige Leute wieder aus der Statistik verabschieden. Vom Wachstum ist möglicherweise das Gleiche zu erwarten. Denn jede Konsum- und Investitionszurückhaltung erzeugt einen Stau, der sich bei etwas Entspannung in Kauf- und Investitionslust entlädt.

Die Zeiten ständen also gut für ein paar positive Zahlen. Ironischerweise gilt das aber nur dann, wenn eine schwarz-gelbe Regierung möglichst wenig von ihren konkreten politischen Vorhaben umsetzt.

Allein schon die Vorstellung, CDU und FDP könnten ihre Pläne zur Korrektur von Hartz IV verwirklichen, lässt erschaudern. Ein neues Bürokratiechaos wäre zu erwarten, wenn plötzlich doch die Städte und Gemeinden die Betreuung aller Langzeitarbeitslosen übernehmen müssten. Die verwirrende Umstrukturierung der Arbeitsämter im Zuge von Hartz IV ist ja schon das abschreckende Beispiel dafür, was in Deutschland passiert, wenn die Politik „Bürokratie abbauen“ will.

Selten zuvor ist die Wirtschaft so stark psychologisiert worden wie derzeit in Deutschland

Jede Reform, die neues Systemchaos erzeugt, ist möglichst zu vermeiden. Das betrifft auch das geplante CDU/CSU-Krankenkassensystem mit Kopfpauschale und schwer durchschaubaren steuerlichen Zusatzfinanzierungen. Ein solches Vorhaben kann nur auf Unwillen stoßen. Die Bürger erwarten von der Politik die Reduktion der komplexen Verhältnisse, keine Verkomplizierung. Rot-Grün hat das selbst erleben müssen: Die freiwillige Riester-Rente wird trotz staatlicher Zuschüsse gemieden, weil niemand Lust hat, noch mehr Formulare auszufüllen als unbedingt nötig. Die bürokratiearme Einrichtung von Minijobs hingegen erwies sich als Renner.

Auch einen weiteren Fehler von Rot-Grün sollte Schwarz-Gelb vermeiden: zu übersehen, dass Menschen Verluste stärker fürchten als sich über Gewinne zu freuen. Deswegen macht es keinen Sinn, steuerliche Entlastungen der Unternehmen durch eine höhere Mehrwertsteuer und damit höhere Preise gegenzufinanzieren, wie in der CDU diskutiert. Man erinnere sich, wie die Entlastung der rot-grünen Steuerreform beim Verbraucher verpuffte, während Hartz IV zum Synonym für den Absturz wurde und so auf die Konsumstimmung drückte. Politik hat vor allem deshalb eine Auswirkung auf die Ökonomie, weil sie Ängste und Erwartungen beeinflusst.

Eine schwarz-gelbe Regierung erschiene also ironischerweise gerade dann als ökonomisch erfolgreich, wenn sie möglichst vieles einfach weiterlaufen und nur ein klein wenig liberaler ausschauen ließe als bisher. Ein bisschen Drehen am Kündigungsschutz, das lauthalse Propagieren von mehr betrieblichen Bündnissen, die es eh schon vielerorts gibt. Politik als Suggestion für die Wirtschaft – mit aufregenden neuen Programmen hat das wenig zu tun. Und so eine Partei muss man natürlich auch nicht wählen.

BARBARA DRIBBUSCH