wortwechsel: Wie geht konstruktive Kritik am Staat Israel?
Einseitige Positionierung zum Nahostkonflikt auf der Berlinale bringt deutscher Kulturszene Antisemitismusvorwurf ein. Selbstkritik tut manchmal auch der taz gut
Achtsamkeit
„Sixty-something“,
wochentaz vom 24. 2.–1. 3. 24
Ich wage es, hier zu schreiben, obwohl ich grade 80 geworden bin. Ratschläge fürs Altern gebe ich nicht, wir Senioren haben zu unterschiedliche Leben. Ich hatte die Gnade, als Pfarrer mit dem Kopf arbeiten zu dürfen und eben nicht im kräftezehrenden Handwerk (das ich sehr verehre). Ich hatte ebenfalls die Gnade, mit 65 völlig gesund in den Ruhestand zu wechseln.
Wir leben mit Enkeln in der Familie, das ist stressig, aber auch lebendig und innovativ. Ich bearbeite Rubriken in meinem Gehirn, in dem ich alte Ziele und Zwänge entsorge. Ja, ich komme bei mir selbst an: Was ist mir wichtig? Ein Buch, ein Thema, eine Reise? Ich habe den Begriff „Achtsamkeit“ für mich entdeckt. Menschen in meiner Umgebung mehr wahrzunehmen und es ihnen auch zu sagen. Warum? Es könnte die letzte Begegnung sein. Und: Sie sind mir lieb und wichtig. Und ich brauche sie vielleicht für den hoffentlich schönen Rest meiner Tage.
Gerhard Hechler, Seeheim-Jugenheim
Zionismus
„Einen Ausweg suchen“,
wochentaz vom 2.–8. 3. 24
Als Historiker weiß Moshe Zimmermann, dass selbst Theodor Herzl und auch andere zionistische Führer das Unternehmen der Besiedlung Palästinas ein koloniales genannt haben. Herzl schrieb sogar darüber, die einheimische Bevölkerung über die Grenze verfrachten zu wollen. Man muss nur Herzls Buch „Der Judenstaat“ lesen, was Zimmermann sicher schon längst getan hat. Von daher ist mir schleierhaft, wie er zu dieser These kommt. Wenn der Zionismus seiner Meinung nach ein nationalistisches Projekt und kein kolonialistisches ist, operiert er doch offensichtlich auf Kosten der einheimischen palästinensischen Bevölkerung, die seit Dekaden enteignet und vedrängt wird, und zwar durch die Verwirklichung einer Politik, die angeblich nicht kolonialistisch ist. Das ist ein Widerspruch an sich
Manuela Kunkel, Stuttgart
Narrative
„Einen Ausweg suchen“,
wochentaz vom 2.–8. 3. 24
Danke für das Interview. Es ist schön, endlich auch mal kritische Stimmen auf israelischer Seite zu hören. Aber auch eine differenzierte Stimme, auch das ist in den letzten Monaten nicht selbstverständlich gewesen.
Ich würde mir wünschen, das unsere Regierung auch Israelis und jüdischen Menschen Gehör verleiht, die ihre Regierung sehr kritisch sehen und die auch das Vorgehen der Regierung in Gaza teils aufs schärfste kritisieren. Man kämpft nicht gegen Antisemitismus, wenn man nur dem Teil der Betroffenen zuhört, welche die eigenen Narrative bestätigen.
Momo Bar auf taz.de
Selbstkritik
„Selbstreflexion jetzt!“,
wochentaz vom 2.–8. 2. 24
danke für diesen hervorragenden artikel, die beschriebenen tendenzen waren deutlich wahrzunehmen. ich vermisse allerdings eine selbstkritik der taz, die sich in diesen jahren durchaus nicht mit ruhm bekleckert hat, im sinne einer kritischen, verschiedene seiten darstellenden berichterstattung und kommentaren. dies war besonders deutlich zu corona-zeiten, in der auch die taz pauschalisierend kritische stimmen als schwurbler und covidioten abgetan hat. was den ukraine-krieg angeht, finde ich auch dazu – abgesehen von ein paar kritischen kommentaren und beiträgen – eine neigung, sich für krieg und militarisierung vereinnahmen zu lassen. danke jedoch für eine titelseite, die aufgelistet hat, was alles mit 100 millionen sondervermögen fürs militär finanziert werden könnte. ganz schlimm war auch das sich-eingliedern in die weltweite kampagne gegen die homöopathie. ich habe mich immer wieder gefragt, was aus der kritischen taz geworden ist.
Monika Dern, Grünberg
Berlinale
„Detonation in Zeitlupe“,
wochentaz vom 2.–8. 3. 24
Der auf der Berlinale geehrte jüdische Filmemacher Yuval Abraham wies in seiner Dankesrede darauf hin, dass er in Israel unter bürgerlichem Recht lebt, während sein Co-Regisseur Basel Adra unter Kriegsrecht lebt, kein Wahlrecht hat und in die Westbank eingeschlossen ist. Abraham kritisierte dies auf X.
Die ebenfalls geehrte US-amerikanische und jüdische Regisseurin Eliza Hittman verurteilte die Kriegsführung der israelischen Streitkräfte im Gazastreifen und heftete sich einen Zettel mit der Aufschrift „Ceasefire Now“ an. Nichts davon ist antisemitisch. Wenn Ron Prosor daraufhin auf X schreibt, dass „die deutsche Kulturszene (…) den roten Teppich ausschließlich für Künstler ausrollt, die sich für Israels Delegitimierung einsetzen“, und diese Aussagen pauschal als „skandalösen antisemitischen Diskurs“ darstellt, dann würde ich erwarten, dass die taz den Botschafter Israels in Deutschland nicht einfach unkommentiert zitiert, sondern diese erkennbare Fehldarstellung in ihrer Berichterstattung thematisiert und kritisiert. Christian Kopf, Homburg
Israel
„Detonation in Zeitlupe“,
wochentaz vom 2.–8. 3. 24
Wenn Leute mit einem Schild „Cease Fire Now“ auf die Bühne gehen, dann ist das nicht antisemitisch und nicht Israel-hassend. Es ist vielleicht naiv und regt zu einer Debatte an, ob das eine kluge Strategie im Konfliktgeschehen ist, wem sie kurz- und wem sie langfristig nutzt. Aber Antisemitismus und Israelhass verbreitet dieser Slogan nicht. Auch wenn ein palästinensischer Regisseur sagt, er kann sich gerade wenig über den Preis freuen, weil seine Landsleute in Gaza in einer Kriegssituation sind, dann ist das nicht antisemitisch oder Israel-hassend. Es ist einfach verkürzt, weil es nur das unmittelbare Leid der einen Seite zeigt.
Anders ist es mit einem Post wie „Palestine … to the sea“. Da wird das Existenzrecht des (jüdischen) Staats Israel geleugnet. Und wenn diejenigen von uns, zu denen ich mich auch zähle, die in der momentanen Konfliktsituation dem Staat Israel die Stange halten, sich eine differenzierte Sicht auf den Nahostkonflikt und den israelischen Staat wünschen, dann sollten wir vielleicht auch selbst differenzierter auf die „andere Seite“ gucken. Denn zwischen „Cease Fire now“ und der Leugnung des Existenzrechts Israels liegen Welten. Patricia Jessen auf taz.de
Danke!
„Doppelmoral der Polizei“,
taz vom 4. 3. 24
Dieser Kommentar bringt es auf den Punkt und nur die taz hat dazu den journalistischen Mut.
Thomas Bartsch Hauschild, Hamburg
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