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Ausgehen und rumstehen von Stephanie GrimmSchnell in einen Sapiens-Watching-Modus schalten

Foto: taz

Wie es so geht in Zeiten des Fachkräftemangels: Der Handwerkertermin steht schon so lange in meinem Kalender, dass die Einsicht, diese Baumaßnahmen auch vorbereiten zu müssen, umso überraschender kommt. Bad leer räumen, auch die Vorratskammer und die Spüle. Nervt und dauert so lange, dass wenige Stunden später dann tatsächlich schon die Klempner vor der Tür stehen.

Einen Ort zum Weiterschlafen zu finden oder auch zum Arbeiten ist gar nicht so einfach. Selbst die Amerika-Gedenkbibliothek macht erst in gut zwei Stunden auf. Also doch die Flucht in den Luxus: Ins Vabali, wo um 8 Uhr die Türen aufgehen. Im Ruheraum der Anlage liegen doch diese mit Wasser gefüllten Matratzen, auf denen es sich schön lümmeln und herumschwappen lässt.

Der sonst so rummelige Wellnesstempel ist fast leer, im Garten blinzelt die Sonne, der von der Wasserfläche aufsteigende Dampf bricht das Gegenlicht. Was für ein Vormittag! Begeistert hangele ich mich von einem Aufguss zum nächsten. Puh, totgespielt. Und nun wirklich mal ins Wasserbett. Drei Stunden später ist es plötzlich arg voll in der Anlage. Spanische und italienische Touristen mühen sich mit Lageplänen um Orientierung und bestaunen die nackten Einheimischen. Schnell in einen Sapiens-Watching-Modus schalten, um weiterhin vergnügt bleiben zu können. Die neuen Abwasserrohre zu Hause erweisen sich dann auch als nicht so hübsch. Die alten waren wirklich noch von 1910, sagt der Klempner. Ihr Abriss führte offenbar zu einem kleinen Erdbeben, die Hälfte meiner Wandbilder ist auf dem Boden gelandet.

Am nächsten Tag trägt der Himmel wieder januartypische shades of grey. Ich nehme das als Erinnerung, endlich eine Tageslichtlampe zu besorgen; die alte hat die Biege gemacht. Offenbar fehlt sie auch den Zimmerpflanzen, die kriegen langsam gelbe Blätter. Es muss also schnell gehen. Und überhaupt, man soll ja auch nicht alles im Internet kaufen. Also zum Baumarkt um die Ecke.

Leider hat der sehr junge Mann dort keine Ahnung, wovon ich rede. „Sie suchen eine Glühbirne?“ Ich setze zu einer Erklärung an, was eine Tageslichtlampe ist. Die Farbtemperatur sei eine andere. In der dunklen Jahreszeit soll sie dafür sorgen, dass man richtig wach wird, im Idealfall kann sie gar die Stimmung heben.

Kaum habe ich das gesagt, legt sich im Kopf des Verkäufers ein Schalter um. Er denke nun offenbar: „Au weia, die arme, alte Frau ist traurig.“ Mittlerweile gänzlich unempfänglich für meine Erklärungsversuche, was diese Lampe ausmacht, rutscht es aus ihm raus: „Eigentlich geht es da doch um … wie soll ich sagen: um Emotionen, nicht um Technik. Hier gibt's aber nur Technik zu kaufen. Ich weiß nicht, wie ich helfen kann.“ Ich hole mein Handy raus, um die Tageslichtlampe zu googeln. Nein, stellt er nun fest, so was verkaufen sie hier wirklich nicht. „Gucken Sie doch online, ist sowieso billiger.“

Dunkel und trotzdem vergnügt geht es am nächsten Abend im OHM bei der Reihe KOOKOO zu. Man fühlt sich in dem kleinen Club im Ex-Heizkraftwerk, gleich neben dem Tresor, in die neunziger Jahre versetzt, nicht zuletzt weil es schwer verraucht ist. Mitten in dem minimalistischen, weiß gekachelten Raum steht ein Tresen, auf den die Butoh-Tänzerin Yuko Kaseki so eindrucksvoll wie expressiv zugange ist. Die Medienkünstlerin Echo Ho begleitet ihren Auftritt mit Sounds zwischen Meeresbrandung und Gerölllawine. Bis die Musik dynamischer wird und die Tänzerin weniger Verstörung und mehr Interaktion versucht. Dafür geht sie wortwörtlich auf Tuchfühlung mit dem Publikum; sie wickelt den Leuten ihr Tuch um den Kopf oder hüllt sich in die Schals der Leute. Das sorgt für erstaunlich viel Spaß. Manchmal ist der ganze Krempel, den man im Winter mit sich rumschleppt, doch für etwas gut.

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