berliner szenen: Heimlich mit den Ohren wackeln
In der S-Bahn setzt sich eine junge Frau mit vier Kindern in das Abteil neben mir. Ein Junge und ein Mädchen sind noch sehr klein, die beiden größeren Mädchen dagegen schon in der Pubertät. Die großen Mädchen beginnen mit einer Art Fingerakrobatik. Sie halten ihre Hände wie Spock zum Gruß, verknoten Zeige- und Ringfinger und strecken den Daumen so weit zur Seite, dass er bis an das Handgelenk reicht. Die Kleinen versuchen die Gesten umständlich und mit herausgestreckter Zunge zu wiederholen. Mich juckt es in den Fingern, es nicht auch zu probieren.
Ein älterer Mann setzt sich zu mir auf die Seite und sieht den Kindern ebenfalls zu. Nach einer Weile sagt er zu den großen Mädchen: „Und könnt ihr auch das?“ Er nimmt seine Brille ab und wackelt mit den Ohren. Die Kinder lachen und versuchen es selbst. Sie ziehen aber vor allem die Augenbrauen nach oben und den Mund breit. Ich weiß, dass ich nicht mit den Ohren wackeln kann, aber ich würde wieder am liebsten mitmachen, als wären Ohrenwackeln und Fingerspiele ansteckend. So wie Gähnen. Wenn jemand irgendwo gähnt, muss ich jedes Mal mitgähnen.
„Da müssen meine wohl noch ein bisschen üben“, sagt die Mutter jetzt zu dem Mann. „Ja ja“, meint der Mann. „Hab jahrelang gebraucht. Wollte immer mal meine Kinder damit beeindrucken. Jetzt kann ich’s. Hab aber keine Kinder.“ Die Frau lächelt und sagt nichts dazu.
Am Potsdamer Platz kann ich endlich aussteigen. Auf der Rolltreppe oben versuche ich mit den Ohren zu wackeln und gleichzeitig meinen Daumen an das Handgelenk zu bringen. Ich muss dabei ziemlich bescheuert aussehen, denn ein Typ, der auf der anderen Seite herunterfährt, guckt mir interessiert zu. Ich hoffe, ich habe ihn angesteckt und er muss es selbst gleich heimlich versuchen. Isobel Markus
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