Osman Engin Alles getürkt: Bei Allah,wo ist Kerem?
Meine Frau Eminanim schlägt im Urlaub in der Türkei völlig unerwartet vor, ihre Tante Nuriye zu besuchen.
Daraufhin schlägt meine Kusine Hayriye vor, dass wir ihren kleinen Sohn Kerem auch mitnehmen sollen, damit er sie nicht ständig nervt.
Daraufhin schlage ich vor, die kleine Nervensäge doch nicht mitzunehmen.
„Eminanim, meine Kusine Hayriye wird uns die Hölle heiß machen, wenn ihr kleiner Wirbelwind auch nur den winzigsten Kratzer abbekommt“, versuche ich mein Anliegen diplomatisch zu begründen.
Zum Schluss geschieht natürlich das, was in solchen Fällen immer geschieht: nämlich der Wille Eminanims – und wir nehmen Kerem mit.
Den ganzen Tag lasse ich den kleinen Kerem keine Sekunde aus den Augen, damit ihm ja nichts passiert.
Ich renne ständig hinter ihm her, was sich auf Dauer als sehr anstrengend erweist! Erschwerend kommt hinzu, dass unsere Interessen sehr unterschiedlicher Natur sind. Zum Beispiel habe ich überhaupt keine Lust, im Garten aus dreckigem Schlamm Burgen zu bauen. Und der kleine Kerem interessiert sich nicht die Bohne für das spannende Spiel zwischen Fenerbahçe und Galatasaray im Fernsehen. Was vielleicht unter Umständen auch an unserem Altersunterschied von knapp 50 Jahren liegen mag.
Am nächsten Morgen springe ich eiligst aus dem Bett und schaue sofort nach Kerem.
Im Bett ist er nicht.
Mein Herz fängt sofort an zu flattern!
Wo ist Kerem?
Wie von Sinnen laufe ich durch die ganze Wohnung!
Wo ist Kerem?
Osman Engin
ist Satiriker in Bremen. Zu hören gibt es seine Kolumnen unter https://wortart.lnk.to/Osman_Coro-na. Sein Longseller ist der Krimi „Tote essen keinen Döner“ (dtv).
Ohne Schuhe renne ich verzweifelt in den Garten!
Bei Allah, wo ist Kerem? Hayriye bringt mich um!
„Osman, was ist denn los? Warum läufst du wie ein kopfloser Truthahn ständig hin und her?“, fragt Eminanim.
„Wo ist Kerem! Der Junge ist verschwunden“, rufe ich panisch.
„Wieso verschwunden? Der spielt doch die ganze Zeit mit Hatice“, lächelt sie zufrieden.
„Willst du mich veräppeln? Dieser Junge ist doch niemals Kerem!“
„Doch, das ist er. Der ist heute Nacht nur ein paar Mal gepikst worden. Die hiesigen Mücken fanden den Kleinen wohl besonders lecker“, lacht sie.
Bei Allah, das ist doch nicht zu fassen!
Der arme Junge hat von oben bis unten mindestens eine Million Mückenstiche! Sein ganzer Körper sieht wie ein Spaghetti-Sieb aus. Es gibt keinen Millimeter im Gesicht und am restlichen Körper, der nicht rot angeschwollen ist.
Meine kleine Tochter Hatice hingegen hat nichts abgekriegt, obwohl die beiden im selben Zimmer geschlafen haben.
„Bei Allah, was sollen wir denn jetzt nur meiner Kusine sagen? Wenn sie Kerem so sieht, gibt es eine Katastrophe“, stottere ich entsetzt.
„Ach, ihm geht’s doch gut. Lass uns erst mal gemütlich frühstücken.“
Nach dem Frühstück fahre ich mit sehr schlechtem Gewissen wieder zurück ins Dorf und stelle den durchlöcherten Kerem vor dem Haus seiner Eltern ab. Dann klingele ich mehrere Male an der Tür und renne weg:
„Los, Eminanim, los! Lauf schnell weg! Seine Mutter darf uns auf keinen Fall erwischen, sonst wird sie uns genauso durchlöchern!“
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