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„Die Gesamtschule wäre das Wunschmodell“

BILDUNG Viele Schüler sind laut einer Studie auf der falschen Schule. Jeder dritte hat Probleme

Johannes Uhlig

Der Bildungsforscher hat für das Wissenschaftszentrum Berlin 900 Schüler zu Lernfähigkeiten untersucht.

taz: Herr Uhlig, jedes dritte Kind ist in der Schule unter- oder überfordert. Schätzen Eltern ihre Kinder falsch ein?

Johannes Uhlig: Ja, oftmals. Dazu kommt die in vielen Bundesländern verfrühte Entscheidung, nach nur vier Jahren Grundschule den weiteren Bildungsweg zu bestimmen. Zu diesem Zeitpunkt kann man das Potenzial aber überhaupt noch nicht abschätzen. In der Folge entscheiden sich viele Eltern bei den Kindern für eine Schule, die dem eigenen Status entspricht.

Wollen sich die Eltern ihre Wunschkinder backen, ohne auf Fähigkeiten zu achten?

Ja. Akademiker erwarten, dass die Kinder den gleichen Pfad wählen. Auch wenn sie die Fähigkeiten nicht mitbringen. Andersherum orientieren sich Nichtakademiker an Familie, Freundes- und Bekanntenkreis und schicken ihr Kind im Zweifel auf die niedrigere Schule.

Warum tritt das Problem stark bei Nichtakademikern auf?

Es ist oft mangelndes Wissen um die Bedeutung des Schulabschlusses. Dazu kommen finanzielle Erwägungen: Was kostet es, wenn mein Kind länger zur Schule geht? Andere trauen ihren Kindern nicht zu, in höheren Schichten und Schulen mitzuhalten.

Kann man sagen, dass ein Teil gesellschaftliche Ungleichheit unnötig weitergegeben wird?

Ja. Betroffenen Kindern wird systematisch nicht ermöglicht, das Beste aus sich zu machen. Wenn man dies beheben würde, gäbe es mehr höhere Abschlüsse – was für eine Wissensgesellschaft wie unsere extrem wichtig wäre. Dies hätte beachtliche volkswirtschaftliche Auswirkungen. Dazu könnten die sozialen Unterschiede spürbar verringert werden.

Ist dies ein deutsches Problem?Ja. Die strikte Teilung und die frühe Entscheidung für die weiterführende Schule sind einmalig in Europa. Nur bei uns hat die Schulpolitik so unterschiedliche Zukunftsaussichten zur Folge.

Hilft es, Empfehlungen zur weiterführenden Schule verbindlicher zu machen – wie in Bayern oder Baden-Württemberg?

Nein. Dort gibt es Ungleichheiten genauso, nur kommen sie anders zustande. Entweder die Eltern drillen ihre Kinder frühzeitig, oder die Lehrer geben dort in vorauseilendem Gehorsam bessere Noten, damit sie den gewünschten Schnitt schaffen.

Würden integrierte Schulen das Problem verringern?

Ja. Schüler lernen länger zusammen und orientieren sich an unterschiedlichen Mitschülern. Nach der achten, neunten Klasse kann man viel besser abschätzen, wer für welche Karriere geeignet ist. Wissenschaftlich ist die Gesamtschule ein Wunschmodell. Ob das politisch durchgesetzt werden kann, ist eine andere Frage.

INTERVIEW: GORDON REPINSKI

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