berliner szenen: Direktorin der Uncoolen
Zwei Teenager sitzen mir in der S-Bahn gegenüber und unterhalten den halben Waggon. Beide sind sehr hübsch, wahnsinnig geschminkt und gepudert, sie tragen ihre Haare bis zur Hüfte und riechen nach einem schweren blumigen Parfum, das in der Schwüle des Tages eine klebrige Wirkung auf mich hat. Ich klebe mich an ihr Gespräch.
„Frau K. hat Nykhet keine 4 in Deutsch gegönnt, Alter.“
„Und Herr S. hat sie auch noch in Sport voll fertig gemacht, Alter. Nykhet tut mir leid, Alter, absolut unehrenhaft.“
Beide stöhnen, dann sagt die Blonde: „Und der hässliche Herr P., Alter. Wenn ich den schon sehe, muss ich brechen, so hässlich ist der, Alter.“
Ich frage mich, ob sie es durchziehen, hinter jeden Satz ein Alter zu setzen.
Die Blonde sagt: „Also wenn ich mal Lehrerin werde, würde ich auf jeden Fall eine coole werden, Alter.“ Die andere nickt zustimmend und sagt: „Voll, von unseren Lehrern hat auf jeden Fall niemand vorher gedacht, ich werd mal cool. Alle wollten sie echt ehrenlos werden, Alter.“
Ich muss lächeln und es wird immer breiter, je mehr ich über diesen Satz nachdenke. Die Dunkelhaarige guckt erschreckt zu mir: „Äh. Sind Sie etwa Lehrerin?“ Ich lache und sage: „Auf keinen Fall. Ich wär zu uncool dafür.“
Die Blonde sagt: „Ey, da wär’n Sie dann bei uns auf der Schule. So als Direktorin der Uncoolen, Alter.“ Die beiden Mädchen kreischen vor Lachen. „Is nicht persönlich“, sagt die andere. „Ist voll nix gegen Sie.“ „Ich weiß“, sage ich und kichere, weil die zwei so ausufernd lachen.
Als ich aufstehe sage ich „Tschüß“ und die eine sagt artig: „Schönen Tag.“ Und während ich warte, dass sich die Türen öffnen, vervollständige ich in Gedanken ihren Satz: Schönen Tag, Direktorin der Uncoolen, Alter.
Isobel Markus
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