Osman Engin Alles getürkt: Frauen, Fußball und die Abseitsfalle
Osman Engin
ist Satiriker in Bremen. Zu hören gibt es seine Kolumnen unter https://wortart.lnk.to/Osman_Coro-na. Sein Longseller ist der Krimi „Tote essen keinen Döner“ (dtv).
Bei Allah, das kann doch nicht wahr sein! Die Multikulti-Nationalmannschaft Deutschlands – oder wie manche sagen, die Internationalmannschaft Deutschlands –, hat sogar meine Frau Eminanim dazu gebracht, sich für Fußball zu interessieren.
Als ich nämlich während des hochbrisanten WM-Gruppenspiels zwischen Iran und USA völlig erschöpft von meiner Arbeit in Halle 4 nach Hause komme, höre ich Stimmen aus der Küche: Die zweitgrößte Nervensäge des Mittleren Orients – das ist meine Frau Eminanim – versucht gerade höchst engagiert und ziemlich wissenschaftlich, unserem Frechdachs – das ist meine vorlaute kleine Tochter Hatice – sehr kindgerecht und ziemlich einleuchtend die Abseitsfalle zu erklären. Sie hat ganz offensichtlich vor, aus Hatice einen Ilkay Gündoğan zu machen.
Oh Allah, ich danke dir! Meine jahrzehntelangen Bemühungen, meiner Frau die Abseitsfalle beizubringen, haben doch noch gefruchtet. Mein Leben habe ich also nicht umsonst gelebt. Es gibt doch etwas Positives, was ich geschafft habe, worauf ich später mit Stolz zurückblicken darf: Ich habe meiner Frau die Abseitsfalle beigebracht. Und sie gibt diese Erkenntnis jetzt sogar freiwillig an unsere Kindern weiter!
Natürlich hat sie bei der Definition des Passiven Abseits noch erhebliche Probleme, aber damit kamen ja nicht mal unser Kaiser Franz oder Hennes Weisweiler klar. Beckenbauer hat zum Beispiel seinerzeit gesagt: „Abseits ist, wenn der Schiedsrichter pfeift!“
Hennes Weisweiler schimpfte wie ’n Rohrspatz und brüllte: „Abseits ist, wenn dieses lange Arschloch da vorne vergisst abzuspielen“, und meinte damit seinen Mittelfeldregisseur Günter Netzer, der sich nie vom Ball trennen wollte.
Damals haben wir leider nicht solche tollen Videoschiedsrichter gehabt, die in irgendwelchen Keller rumhocken und den ganzen Fußballplatz millimetergenau vermessen.
„Mama, warum machst du mich denn heute so fertig? Was habe ich dir getan? Warum muss ich denn unbedingt diesen Blödsinn lernen?“, höre ich Hatice etwas genervt jammern, die ja mit ihrem kindlichen Gemüt die ungeheure Wichtigkeit und die extreme Kompliziertheit dieses spielentscheidenden Regelwerkes für König Fußball noch nicht richtig erfassen kann.
„Mein Kind, schau mal“, sagt Eminanim mit Engelsgeduld und versucht es unserer kleinen Tochter doch noch begreiflich zu machen. „Hatice, hör mal, ich habe in meinem ganzen Leben noch keinen einzigen Mann gesehen, der nicht fußballverrückt ist. Es ist nun mal so! Leider! Damit müssen wir Frauen wohl oder übel leben. Und wenn du später mal mit so einem Kerl auch nur eine halbwegs vernünftige Ehe führen willst, dann ist es sehr sinnvoll, die Fußballregeln zu kennen. Sonst hast du in einer Beziehung mit einem solchen Idioten überhaupt keine Gemeinsamkeiten. Du weißt, unsere Familie ist arm. Die Abseitsfallen-Erklärung ist die einzige Mitgift, die ich dir für deine spätere Ehe mitgeben kann!“
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