Ausgehen und rumstehen von Stephanie Grimm: Die Klänge von Neu! lassen die Zeit fliegen
Nach ein paar Wochen out of town stiftet der Versuch des Wiedereingroovens mal wieder Verwirrung. Bei routinierten Abläufe hakt’s, ich vergesse Sachen – was sonst selten passiert. Weil ich mir wenig aufschreibe, bietet der Kalender kaum Orientierung. Letzten Mittwoch dann der zufällige Blick auf eine Datumsanzeige, im Kopf rattert’s. Zum Glück, denn die Begleitung ist schon auf dem Weg ins Silent Green.
Neu! – im Wesentlichen ist die stilprägende Band seit 1975 Geschichte, mit dem Tod von Klaus Dinger definitiv nicht reaktivierbar – feiern 50. Geburtstag: nicht den des Bestehens der deutschen Band, sondern des Albumdebüts. Damit Michael Rother, der Überlebende des Duos, nicht alleine auf der Bühne steht, hat er Bewunderer und Wegbegleiter:innen eingeladen.
Schon auf dem Weg in die Betonhalle höre ich die stets unverkennbaren Chicks on Speed. Eine Art Déjà-vu. Fast auf den Tag genau vor einem Jahr wurde ich auch schon von der Art-Pop-Band empfangen, damals mit „Kaltes, klares Wasser“ – im Kontext des Minifestivals „M Dokumente“, das sich den Berliner Frauenbands Mania D, Malaria und Matador widmete. Jetzt sind die Chicks wieder im Tribute-Modus unterwegs. Derselbe Ort, neues Jahr, anderer Song. Sie machen eine Ansage, adressiert wohl an die Jüngeren, und erklären, dass Gitarren früher mal ein rockistisch-mackerhaftes Ding waren und Neu! mit ihren Klangwelten einen Ausweg gewiesen hätten. Dann spielen sie „We Don’t Play Guitars“.
Als Rother auf die Bühne kommt, wird er vom höchst internationalen Publikum frenetisch gefeiert – Krautrocker waren ja lange Propheten, die wenig im eigenen Land galten. Es stehen nun gleich zwei Gitarristen auf der Bühne. Außer Rother: Franz Bargmann, der trotz einigem Fame noch immer gerne Straßen- (oder U-Bahnhof-)Musik macht. Am Schlagzeug ein euphorisierter Stephen Morris, er ist der Drummer von New Order; die Musikerin Vittoria Maccabruni steuert Elektronik und manchmal ihre Stimme bei, der französische Komponist Yann Tiersen schön widerhakelige Sounds. Die Klänge lassen die Zeit fliegen: ein unerwartet toller, gar nicht nostalgischer Abend.
Zum Wochenende hin ist dann, anders als angekündigt, doch nicht Schluss im Prinzenbad, der Abschiedsschmerz darf noch eine Woche warten. Dann passt das Gefühl vielleicht besser zum Wetter. So belebt wie in den letzten Tagen war es – trotz des arg frischen Wassers – dort an vielen Sommertagen nicht. Zum Doch-nicht-Finale am Freitag ist es noch voller. A. erzählt, dass heute schon etwas über das Bad im Radio lief. Nun schleicht schon wieder eine junge Frau mit Aufnahmegerät vom RBB um das Becken. Die Saisonverlängerung wird gehandelt als mittleres Wunder, was es angesichts der sonstigen Politik der Bäderbetriebe wohl auch ist – auch wenn in anderen klimatisch ähnlich aufgestellten Städten längst im Winter draußen geschwommen wird. Zumindest wenn nicht gerade Gassparen verordnet ist. Nur Berlin kriegt das sonst nicht hin, dafür aber dieses Jahr.
Eine Frage der Frau mit dem Mikro bringt eine Frau zum Ausrasten. Die dieser Tage ungewohnt friedliche Atmosphäre im Bad ist ihr wohl suspekt. Sie schreit herum, wohl wegen der Gastronomie, die aber schon seit Wochen geschlossen ist. Genaues versteht man nicht. Ein paar Badegäste, die wie Eidechsen in die Sonne blinzeln, rufen, sie solle verschwinden. Die Frau vom Radio ist völlig verschüchtert.
Am Samstag lädt das Andromeda Mega Express Orchestra ins Studio dB. Endlich wieder steht diese großartig-weirde Jazz-Neue-Musik-Riesencombo auf einer Bühne, an gleich drei Abenden. Als wir den Raum in den stockdunklen Höfen der Uferhallen endlich gefunden haben, müssen wir klopfen, werden aber zum Glück schnell erhört. Überhaupt: So viel Ohrenspitzen wie hier ist selten. Was für ein Ritt. Wie dem Geplauder im Anschluss zu entnehmen ist: Manche sind an allen drei Abenden da.
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