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Ausgehen und rumstehen von Jenni ZylkaComic live und Cocktails laut

Kaum zu fassen, wie frivol einem der harmlose Zungenkuss in David Bowies „China Girl“-Video einst erschien! Die Ohren waren noch lange nach der ersten Fernsehausstrahlung kollektiv rot. Wobei man dem Briten eher sein eurozentristisches Weltbild um die (normalfarbenen) Ohren hätte hauen sollen, das das „Chinamädchen“ in einer unterentwickelten Kultur ansiedelt, die er – ganz Kolonialstyle – invadiert und „kultiviert“: „I'll give you television“, sprich Westfernsehen. „I’ll give you eyes of blue“ – angeblich, behaupten kritische Bowie-Apologet:innen, war damit die Augenfarbe der unehelichen und oft nicht konsensuell entstandenen Besatzerkinder während des Vietnamkrieges gemeint.

China ist selbstredend nicht Vietnam, aber ich will gar nicht aus 40 Jahren Entfernung und strukturellem Rassismusdiskurs fies hinterherdeuten, man kann Bowie schließlich nicht mehr fragen. Iggy Pop, mit dem Bowie den Song schrieb, allerdings theoretisch schon. Dessen Begehren war seinerzeit nämlich in der Tat an eine Vietnamesin adressiert gewesen, munkelt man, das wurde jedoch im Text wegen schlechterer Singbarkeit – oder Ignoranz? – geändert.

Dennoch ist Bowies Leben sogar als Comic erzählenswert, darum stellte es am Donnerstag im SO36 der Musikerbiografiegrafikexperte Reinhard Kleist vor, aus dessen sicheren Strichen bereits Johnny Cash und Nick Cave entstanden. Kleist illustrierte seine Bowie-Assoziationen per Overhead live vor Publikum, gemeinsam mit den liebevollen Hommage-Perlen der Bowie-Coverband „The Good Sons“ wirkte das zuweilen, als ob man einen Ausflug in A-has „Take on me“-Videoclip macht, nur eben mit noch zeitloseren Hits: Eine hübsche portugiesische Interpretation von „The man who sold the world“ trug Bowies universale musikalische Kraft bis in jedes Esperantoland.

Und zum nachdenklich vorgetragenen „Life on Mars“ trötete gedämpft eine zarte Trompete. Bowie hätte das gefallen. Vielleicht hätte er sich vor lauter Geschmeicheltsein danach sogar auf einen kleinen Mikroaggressionstalk eingelassen.

Freitag schaute ich mir weit weg von Berlin eine fantastische Plakatausstellung an, bei der mir vor allem ein Exemplar mit der Aufschrift „Building Exhibition“ ins Auge fiel – welch ein grandios euphemistischer Ausdruck für eine Stadt! Egal welche!

Schon Samstag war ich zurück in der hiesigen, bekanntlich aus vielen verschiedenen Epochen fantasievoll (manche sagen: geschmacklos) zusammengewürfelten Gebäudeausstellung, und untersuchte das Innenleben eines Hauses am Gendarmenmarkt.

Bei dem muss man sich zunächst an einem weiblichen Cerberus vorbeimogeln: „Habt Ihr reserviert …?“, dann wird man von einem anzugtragenden Lakaien durch ein mit sich eifrig nach Berlin-Flair umschauenden Tou­ris­t:in­nen vollgestopftes Barrestaurant gelotst und schließlich in einem schummerigen Speak­easy namens „Butler“ abgesetzt, in dem ebenfalls vereinzelte Tou­ris­t:in­nen sitzen, ihre Drinks fotografieren und in ihre Handys gucken. Was natürlich kein bisschen beim Verkosten der hervorragenden Cocktails stört, solange die Bar­ho­ckernach­ba­r:in­nen nicht lauthals facetimen.

Das tun erstaunlicherweise immer mehr Menschen, und auch hier dachte ich angesichts einer schrillen, auf Italienisch geführten Debatte am Nebentisch wieder an Esperanto beziehungsweise Babylon: Ich bin heilfroh, dass ich die meisten Sprachen nicht verstehe.

Ich will gar nicht aus 40 Jahren Entfernung und strukturellem Rassismusdiskurs fies hinterherdeuten

Und so ein kleiner Ellenbogenstüber gegen das Coupette-Clas mit dem „Signature Drink“ Aviation, der die bläuliche Flüssigkeit, ooops, über das plärrende Smartphone kleckern lässt, kann ja jedem mal passieren.

Tut mir so leid! Oh, you only speak Italian? Mea culpa, idiota.

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