: Katharina, Otto und die Briten
PUBLIKUMSFESTIVAL Seit gestern werden auf dem internationalen Filmfest Emden-Norderney 93 Filme aus 13 Ländern gezeigt. Katharina Thalbach bekommt den Schauspielpreis und Otto Sander kommt auch
VON WILFRIED HIPPEN
Das Festival ist so bodenständig wie die Stadt. Die Organisatoren des inzwischen 23. internationalen Filmfest Emden-Norderney wollen nicht die Presse oder die Branche beeindrucken, sondern möglichst viele Emder in die Kinos locken. Zumindest in Norddeutschland gibt es kein anderes Filmfest, das so dezidiert als Publikumsfestival konzipiert ist. So werden die Preise in den verschiedenen Wettbewerben durch Abstimmung der Zuschauer vergeben und stilistisch eher unzugängliche Werke wird man in den verschiedenen Programmsparten kaum finden. In Emden wurde schon immer das realistische und politische Kino gezeigt. Das hängt auch mit den Ursprüngen des Filmfestivals zusammen, denn dieses entstand aus einer Initiative der städtischen Volkshochschule, die auch heute noch mit dem VHS-Forum eine der Spielstätten beisteuert. DGB und AOK sind die Preisgeber für Wettbewerbe und der Hauptpreis wurde nach Bernhard Wicki benannt, jenem auch politisch unbequemen Filmemacher, der lange der Mentor des Festivals war.
Den offensichtlichen maritimen Bezug versucht man im Emden zwar eher zu vermeiden, aber wenn gerade ein Film mit dem Titel „Die Männer der Emden“ fertig wurde, muss dieser natürlich zur feierlichen Eröffnung gezeigt werden. Der Regisseur Berengar Pfahl erzählt darin von der Mannschaft des Marinekreuzers „Emden“, deren Schiff 1914 im indischen Ozean versenkt wird, und die sich um der Kriegsgefangenschaft zu entkommen, auf eine aufwendig inszenierte Odyssee zurück in die Heimat begeben.
Wie maßgeschneidert für das Filmfest ist auch der Film „Bis zum Horizont und dann links!“ von Bernd Böhlich. Darin geht es darum, wie in der modernen Wohlstandsgesellschaft mit den alten Menschen umgegangen wird. Der Bewohner eines Seniorenheims rebelliert gegen die Monotonie des ihm zugemessenen Lebens, indem er bei einem organisierten Rundflugs seines Heims das Flugzeug entführt und verlangt, zusammen mit den anderen Senioren ans Mittelmeer geflogen zu werden. In dieser in einem märchenhaft Ton erzählten Flucht- und Flugfantasie spielt ein geschickt zusammengesetztes und inspiriert agierendes Ensemble von deutschen Schauspielgrößen wie Angelica Domröse, Ralf Wolter und vor allem Otto Sander in der Hauptrolle. Sander wird in Emden als Gast erwartet und wird den Film selber vorstellen.
Für dieses gut bewährte Rezept, gesellschaftliche Probleme in der Form einer Komödie zu behandeln, ist das britische Kino berühmt. Und viele Filme dieser Art wie „Ganz oder gar nicht“ oder „Brassed Off“ wurden hier zum ersten Mal in Deutschland aufgeführt, denn in Emden wird traditionell jeweils die neue Ernte von Filmen aus Großbritannien und Irland präsentiert. Unter den acht dort gezeigten Filmen ist mit „We Need To Talk About Kevin“ von Lynne Ramsay eine intensive und verstörende Charakterstudie im Programm. Tilda Swinton spielt darin die Mutter eines Sohnes, der ihr Leben von Geburt an wie eine Verkörperung des Bösen zur Hölle macht. Radikal werden hier die herrschenden Konzepte von der Verantwortung der Eltern für ihre Kinder in Frage gestellt.
Den zum zweiten Mal verliehenen Emder Schauspielpreis erhält nach Martina Gedeck im vergangenen Jahr diesmal Katharina Thalbach. Dass sie in Ostfriesland ist, wird die Berlinern spätestens dann merken, wenn sie am Samstagnachmittag bei einem gemütlichen „Film-Tee“ ihr Emder Publikum trifft. Ihr zu Ehren werden sieben Filme gezeigt, darunter „Die Blechtrommel“, aber auch „Du bist nicht allein“ von Bernd Böhlich. So schließen sich in Emden die Kreise.