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Archiv-Artikel

Panik in Donegal

Auf dem Land, da ist nichts los – es sei denn, man ist die Polizei. Ein irischer Kriminalfall

Es ist nicht viel los –aber manchmal passiert eben doch etwas

Donegal ist weit weg. Die nordwestlichste Grafschaft Irlands ist dünn besiedelt, sie ist vom Eisenbahnnetz abgeschnitten, es ist nicht viel los – kein gutes Revier für einen ehrgeizigen Polizisten. Aber manchmal passiert eben doch etwas.

Als der stark angetrunkene Richard Barron auf einer Landstraße bei Rapphoe von einem Auto überfahren und getötet wurde, saß der diensthabende Polizist Padraig Mulligan mit seinem Kollegen John O’Dowd in einer Kneipe. Da die Notrufzentrale ihn nicht erreichen konnte, rief sie einen Streifenwagen an. Die Beamten ignorierten den Notruf jedoch, weil sie gerade beim Mittagessen waren. Da der Passant, der Barron gefunden hatte, sich schließlich nach dem Verbleiben der Polizei erkundigte, schickte die Notrufzentrale einen Krankenwagen. Als die Polizei endlich am Unfallort eintraf, war Barrons Leiche längst abtransportiert. Die Beamten sicherten weder den Tatort noch stellten sie forensische Untersuchungen an.

Damit hätte die Akte, so peinlich die Versäumnisse der Polizei auch waren, als Unfall mit Fahrerflucht auf den Stapel der ungelösten Fälle gelegt werden können. Doch bei der Beerdigung streute Barrons Familie das Gerücht aus, dass Barron ermordet worden sei – von drei Männern, mit denen die Barrons verfeindet waren. Der Polizeiinformant William Doherty schnappte das Gerücht auf und meldete es dem Polizisten O’Dowd. Der machte sich mit seinem Vorgesetzten, Superintendent Kevin Lennon, sogleich ans Werk, die vermeintlichen Mörder zu überführen.

Zwar hatten sie keinen einzigen Beweis, und die Leiche von Barron war inzwischen eingeäschert, aber sie trieben einen Zeugen auf, der die drei Männer angeblich in der Nähe von Rapphoe gesehen hatte. Allerdings gab es Leute, die den windigen Zeugen zur Tatzeit meilenweit von Rapphoe entfernt getroffen hatten. Darüber hinaus hatten die drei Beschuldigten wasserdichte Alibis. Das interessierte Lennon und O’Dowd nicht: Sie verhafteten die drei Männer und ihre neun Entlastungszeugen.

Weil der Fall jedoch auf tönernen Füßen stand, beschlossen Lennon und O’Dowd, ihrem Informanten Doherty zu mehr Glaubwürdigkeit zu verhelfen. Sie behaupteten gegenüber ihren Vorgesetzten, Doherty habe ihnen den Tipp gegeben, dass auf dem Bauernhof einer völlig unbescholtenen Familie Sprengstoff gelagert sei, mit dem eine Kaserne in Nordirland in die Luft gesprengt werden solle. Lennon ging mit Doherty auf eine Wiese hinter dem Bauernhof und markierte mit einem Holzkreuz eine Stelle, an der Doherty den Sprengstoff vergraben sollte.

Kurz darauf blies Lennon zum Großeinsatz. Ein Einsatzkommando durchkämmte das Gelände, unterstützt von einem Hubschrauber der Armee. Der flog so tief über die Farm, dass eine Herde Schafe in Panik geriet und in einem Stacheldrahtzaun verendete. Schließlich fand Lennon das Holzkreuz, das er selbst errichtet hatte, und ließ die Polizisten graben. Sie fanden nichts, denn Doherty hatte Lennons Anordnung gar nicht ausgeführt. Er hatte von dem Detektivspiel die Nase voll, den Sprengstoff hatte er auf die Müllkippe geworfen. Dem Bauern nützte das nichts, sein Ruf war ruiniert. Er wurde von Nachbarn und Geschäftspartnern geschnitten, sodass er nach Australien auswanderte.

Der Fall gegen die drei angeblichen Barron-Mörder wurde eingestellt. Anders als der Bauer ließen sie die Sache jedoch nicht auf sich beruhen, sondern kämpften um ihren Ruf, bis die Regierung eine Untersuchung des merkwürdigen Gebarens der Polizei in Donegal anordnete. Dabei kamen weitere Einzelheiten ans Licht: O’Dowd hatte von seinem Privattelefon bei einem seiner Mordverdächtigen angerufen, um ihn zu erpressen, wusste aber nicht, dass die Telefongesellschaften auch in Donegal heutzutage Belege haben, auf denen die gewählten Nummern und die Uhrzeiten festgehalten werden. Lennon riet ihm deshalb, dass Logbuch des Polizeireviers zu fälschen, um sich für die Zeit des Erpressungsanrufs ein Alibi zu verschaffen. Das Opfer war ohnehin nicht auf den Erpressungsversuch eingegangen, sondern hatte O’Dowd als „Scheißkerl“ beschimpft. Der untersuchende Richter sagte, diese Bezeichnung sei vollkommen korrekt. Er versetzte die verbrecherischen Polizisten nach Dublin. Dort sind sie wenigstens unter Ihresgleichen. Der Richter hatte nämlich bei einer früheren Untersuchung moniert, dass die Polizei in der Hauptstadt ein „undisziplinierter Haufen“ sei, bei dem eine „Kultur der Mogelei und Vertuschung“ herrsche. Der Polizeichef deckt diesen Haufen. Er hatte, wie der Richter süffisant anmerkte, die polizeilichen Ermittlungen des Todes von Richard Barron als „effizient und gründlich“ gelobt. Der Fahrer des Wagens, der Richard Barron überfuhr, ist noch immer nicht gefunden. RALF SOTSCHECK