: Hamstern und arbeiten
Faxe aus Finnland (2): Wo viel Licht ist, ist viel Schatten. Vom Ende des Klopapiers
Im letzten Sommerfax aus Helsinki war bereits von gehetzten unglücklichen Menschen und Toiletten die Rede. Tatsächlich kann beides zusammenhängen – da lohnt ein genauerer Blick. Als ich mit einer Freundin im Supermarkt Hefezopf hole, sagt sie: „Guck mal, kein Klopapier in den Regalen.“ – „Was ist los?“, frage ich. „Die Papierindustrie streikt. Wenn das Büropapier zur Neige geht, ist das weniger schlimm, aber vor dem Ende des Klopapiers haben alle Angst. Deshalb hamstern sie.“ Hamstern heißt auf Finnisch hamstrata.
Im Internet finde ich mehr: Die Papierindustrie streikt seit Mitte Mai; die Beschäftigten protestieren gegen unzumutbare spätkapitalistische Arbeitsbedingungen. Am Anfang hatten die Streikenden ihre Landsleute voll auf ihrer Seite, auch medial. Klar, wenn der freundliche Nachbar, der im Papierwerk arbeitet, seinen festen Vertrag verliert, ist das eine Schweinerei. Dann aber hieß es, der Streik koste die Wirtschaft des Landes der Wälder und Seen täglich mehr als 30 Millionen Euro. Gleichzeitig wurden die Klopapierregale leer. Am Ende muss der Finne, der gern einheimische Produkte kauft, seinen Hintern mit ausländischem Papier putzen! Inzwischen sind die Sympathien für die Streikenden sehr gesunken.
Unerwartet stößt man im Nachtleben, abseits der Industrie, erneut auf das Thema Arbeitsstress. In einem Café tritt die frisch gegründete Band Baustelle auf und kommt gleich zur Sache. Zwei Töne genügen für das Lied „Arbeit“; monoton singt die junge Tellervo: „Er schuftet-schuftet- schuufteet, abends liegt er wach. Schuftet-schuftet-schuufteet, morgens macht es prrr.“ Das ist der Wecker. Bei einem anderen Song hält Teemu das Mikro an seine Kaffeemaschine, die zu Beginn des Konzerts angeschaltet wurde. Es blubbert und pufft und zischt; eine bedrohliche und effektvolle Begleitung. Am Ende bekommen die Zuhörer Kaffee – damit jeder Energie zum Weiterschuften hat. Bei den vielen Freischaffenden, die es in Helsinki gibt, könnten ja Nachtschichten anstehen.
Als Freischaffender gescheitert ist Mauri Korhonen. Ins Finnische Museum für Gegenwartskunst gelangte er nur, weil dort eine Ausstellung über „Andere Kunst. Randständiges, Marginales“ läuft. Sein Lamento hat der Künstler auf Kassenausdrucke der K-Supermarktkette geschrieben, auf denen also auch „Hackfleisch“ oder „Klementinen“ und der Preis steht. Dutzende solcher Zettel hängen wie Klopapierstücke aneinander. Korhonens Botschaft: „Ich wundere mich, dass ich nicht belohnt werde. Wo die anderen Aktien von Nokia erbten, bekam ich Opas alte Gummistiefel, made in Polen. Ich machte mein Abitur. Ich war beim Militär. Ich wurde Lehrer der Bildenden Kunst. Ich wurde geheiratet. Ich kaufte mir einen Fiat Uno. Schaffte allerlei Geräte und Apparate an. Ich bin dabei, bürgerlich zu werden. Die Stimme in meinem Kopf befiehlt mir, eine Anzughose zu kaufen! Und um acht zur Arbeit zu gehen. Schlimm – ich kann in diesem Kampf nicht siegen.“
Wenig später treffe ich Tellervo von Baustelle wieder. Sie will jetzt öffentlich Leute auffordern, ihr mitzuteilen, was sie stört im Leben. Mit ihrem Mann wird sie Lieder darüber schreiben und das Ganze zu einem Complain-Choir zusammenfügen.
ELINA KRITZOKAT