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Archiv-Artikel

Aus nächster Ferne

Wochenendkrimi de luxe: Das grandiose Ermittlerduo Edgar Selge/Michaela May bestreitet seinen 10. Einsatz im „Polizeiruf 110“ (So., 20.15 Uhr, ARD). Zum Jubiläum gibt es eine Steuerbeamten-Satire

VON CHRISTIAN BUSS

Gezielte Boshaftigkeit und unplanmäßige Vertraulichkeit: So definiert sich das Verhältnis von Jürgen Tauber (Edgar Selge) und Jo Obermaier (Michaela May). In zehn Episoden haben sich der einarmige Misanthrop und das fröhliche Kraftpaket aneinander rangetastet. Man bleibt zwar immer noch beim „Sie“, aber neulich, als die Kommissarin den Lockvogel für einen Serienmörder spielen musste und an die Grenzen ihrer Belastbarkeit ging, durfte ihr der Kollege sogar die Füße massieren.

Dass es einmal so weit kommen würde, hätte man nicht für möglich gehalten, als die TV-Ermittlerin Obermaier vor fünf Jahren dem bereits im bayerischen „Polizeiruf 110“ tätigen Tauber zur Seite gestellt wurde. Drei Dinge konnte der Alteingesessene damals nicht ertragen: dass er mit jemandem das Büro teilen sollte, dass dieser Jemand eine Frau war und dass diese Frau dann auch noch denselben Dienstgrad hatte wie er. In dieser kleinen Jubiläumsfolge recherchiert das ungleiche Paar nun auf dem Finanzamt, und der zu verhörende Steuerprüfer spricht ergebenst nur mit Tauber, während er Obermaier als dessen „Assistentin“ tituliert. Vielleicht wurden bei Tauber vom Beamten alte Eitelkeiten wiedererweckt, jedenfalls revanchiert er sich für die Schmeichelei mit einem Hinweis auf Obermaiers Mann, der eine Werkstatt betreibt und fiskalisch eventuell noch gar nicht richtig durchleuchtet sei. Fortan hat die Kollegin zu Hause den Steuerprüfer sitzen, der die Unterlagen ihres Gatten filzt und dabei auch private Ungereimtheiten zutage fördert.

Handreichung am Pissoir

„Die Prüfung“ ist eine hübsche Satire aus dem obskuren Kosmos namens Fiskalrecht geworden. Es geht um einen Tennisprofi, der offiziell im Steuerparadies Monaco residiert; um eine Edelpuffmutter, die ihr Luxusleben als Werbungskosten absetzt; um einen Fahrlehrer, der durch eine abstruse Steuergesetzneuregelung Hab und Gut verloren hat. Alle drei haben ein Motiv, den Mord an einem Steuerprüfer begangen zu haben. Drehbuchautor Boris Gullotta verknüpft geschmeidig die unterschiedlichen Fährten in dem Fall, Regisseur Eoin Moore inszeniert die Amtswelt angemessen grotesk: In den Beamtenstuben türmen sich die Aktenordner zu pittoresken Mini-Alpen. Auch wird das Potenzial an politisch unkorrekter Komik ausgeschöpft, indem man Tauber nach einem „Haushaltsunfall“ den verbliebenen Arm in Bandagen legt und ihn so vor den alltäglichsten Verrichtungen kapitulieren lässt. In einer Szene muss sich der Kriminalhauptkommissar am Pissoir subtil von einem Subalternen zur Hand gehen lassen.

Allerdings vermisst man auch die Abgründigkeit vorangegangener Episoden. Autorenfilmer Moore scheint zwar eigentlich der richtige Kandidat für ebendiese Abgründigkeit zu sein – in seinen Psychopathen-Porträts „plus-minus null“ oder „Pigs will fly“ liegen schonungslose Analyse und harscher Humor dicht beieinander. Doch seine „Polizeiruf“-Episode bleibt nun weitgehend frei von Erkenntnissen, die jenseits populärer Ressentiments gegen das Steuerwesen liegen. Dabei entwickelte es sich ja über die letzten Jahre zur herausragenden Qualität des Münchner Täterrätsels, aus komplexen Issues gleichermaßen Grauen und Witz erwachsen zu lassen. Man denke nur an die Folge „Vater unser“, in der Tauber mit der verdrängten Geschichte seines Nazi-Vaters konfrontiert wird und in SS-Uniform durch die Wohnung paradiert. Oder wie er zuletzt in dem medienpolitisch aufschlussreichen Vergewaltigungsdrama „Der scharlachrote Engel“ einer Webcam-Stripperin zuschaut und in kindlichem Übermut vor dem Computer zu tanzen beginnt.

Beim „Polizeiruf“ werden brisante Themen konsequent ohne die handelsüblichen Emotionalisierungskniffe und Skandalisierungstechniken in Szene gesetzt. So was findet man im deutschen Fernsehkrimi sonst nur beim Frankfurter „Tatort“, wo Andrea Sawatzki und Jörg Schüttauf ihre Charaktere mit einer ähnlichen Mischung aus Nähe und Distanz agieren und in vielschichtige Themenkomplexe tauchen lassen. Und wie beim HR werden auch beim BR immer wieder gekonnt die Rollenmuster unterlaufen: Der Soziopath Tauber entwickelt zuweilen eine unerwartete Sensibilität, das Muttertier Obermaier wird schon mal zur Furie und verliert darüber ihren ausgeprägten Gerechtigkeitssinn.

Nicht in alle Ewigkeit

Von Zeit zu Zeit lassen Edgar Selge und Michaela May verlautbaren, ihre „Polizeiruf“-Rollen nicht in alle Ewigkeit spielen zu müssen. Vielleicht eine Taktik, mit der sie die Verantwortlichen anhalten wollen, die Linie des Projekts konsequent fortzuführen. Ihr Abgang wäre auf jeden Fall ein Verlust. Auch wenn die heutige Episode nur wie ein kleiner amüsanter Aussetzer innerhalb einer Reihe wirkt, in der mit einem enormen Gespür für die Details nur die ganz großen Themen verhandelt werden.