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Der Teufel und Jerusalem

Beim Musikfest Berlin war der russische Komponist Igor Strawinsky mit sehr unterschiedlicher Vokalmusik zu hören

Von Tim Caspar Boehme

Da ist zunächst die Sache mit den Klageliedern Jeremias. Das Buch der hebräischen Bibel, in dem in Gedichten die Zerstörung Jerusalems beklagt wird, ist nicht bloß im Judentum ein wichtiger religiöser Text. Im Christentum hat man ihn gern für die Karwoche vor Ostern herangezogen. So entstanden in der Renaissance zahlreiche Vertonungen als christliche liturgische Musik.

Einige Beispiele davon gab es am Mittwoch in der Philharmonie zu hören, als der Rias Kammerchor beim Musikfest Berlin Werke von Carlo Gesualdo, Giovanni Pierluigi da Palestrina, William Byrd und Thomas Tallis vortrug. Deren gleichschwebende Mehrstimmigkeit, komplex und homogen zugleich, versah der Chor mit der gebotenen Transparenz, auch wenn vielleicht nicht jeder Einsatz an diesem Abend hundertprozentig saß. Dieses Programm kombinierte der Chor mit dem modernen Vokalwerk „Threni“ von Igor Strawinsky. Thematisch knüpft der russische Komponist an die älteren Kollegen an, für sein 1958 vollendetes Stück wählte er den Untertitel „id est Lamentationes Jeremiae Prophetae“. Die Klagelieder der Renaissance dienten ihm als historisches Vorbild.

„Threni“ hat im stilistisch wandlungsreichen Schaffen Strawinskys eine Sonderstellung. Es ist seine erste durchgehend im Zwölftonverfahren geschriebene Komposition. Von dieser Technik seines großen „Rivalen“ Arnold Schönberg machte Strawinksy erst nach Schönbergs Tod Gebrauch. Wobei sich Strawinsky einige Freiheiten nahm und seine Tonreihen so konstruierte, dass auch harmonische Klänge möglich waren. Das selten aufgeführte „Threni“ ist ein strenges, stilistisch gleichförmiges Stück.

Von den schillernden Orchesterfarben früher Ballettmusiken wie „Der Feuervogel“ oder den explosiven Rhythmen seines großen Hits, des „Sacre du printemps“, ist diese Chormusik sehr weit entfernt. Selbst wenn sich unter den Instrumenten ein Sarrusophon, eine Art Fagott aus Metall, mit seinen dunkel knarzenden Klängen findet. Dynamik entsteht im Wechsel der sechs Gesangssolisten und des Chors, die Instrumentengruppen des Orchesters stellt Strawinsky dazu ziemlich sparsam aus. Ein ungewöhnlicher Strawinsky, den einem der Rias Kammerchor unter der Leitung von Justin Doyle da vorstellte.

Aus einer stilistisch ganz anderen Phase Strawinskys stammt die am Donnerstag ebenfalls in der Philharmonie gespielte „L'histoire du soldat“, ein Bühnenmärchen aus dem Jahr 1918, gegen Ende des Ersten Weltkriegs im Schweizer Exil entstanden. Da Strawinsky bei der Arbeit begrenzte Mittel hatte, schrieb er für eine sehr begrenzte Besetzung. Sogar die Sprecherparts können von einer einzigen Person übernommen werden.

Die Aufführung mit einem Ensemble um die Geigerin Isabelle Faust und den Schauspieler Dominique Horwitz – vor wenigen Wochen erschien eine Einspielung in derselben Besetzung – machte von dieser Möglichkeit in geschickter Form Gebrauch. Die Geschichte eines Soldaten auf Heimaturlaub, der unterwegs seine Seele dem Teufel verkauft, seinen Irrtum erkennt und sich wieder zu befreien versucht, wird von Horwitz in den verschiedensten Stimmlagen auf Deutsch rezitiert. Zurückhaltend ironisch der Erzähler, einfältig offen der Soldat, krächzend heimtückisch der Teufel.

Die Musik dazu gehört in Strawinskys Periode der „Neoklassik“, in der er alte Formen neu ausprobierte, oft in freier Tonalität. Hinzu kommen eine komplexe, selten geradlinige Rhythmik, und Anklänge an neuere Entwicklungen wie Jazz. Das Eingängige und das Sperrige halten sich die Waage, vom Ensemble wunderbar konzise wiedergegeben.

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