: Lehrer-Nachhilfe in Anarchie
FESTIVAL Die Initiative „Creative Gaming“ zeigt, zu was Computerspiele gut sind. Um Spielkompetenz auch in den Unterricht zu bringen, bietet sie Kurse für Lehrer an – und betreut sie danach weiter. So soll gewährleistet werden, dass die Medienbegeisterung von Dauer ist
Andreas Hedrich, Creative Gaming
VON YASMINA SAYHI
„Gib BUT ein, damit das Feuer nicht ausgeht!“ – Die 9. Schulklasse der Schnelsener Mittelstufe versammelt sich um einen Bildschirm. „Ihr könnt auch mal Wurst auf Englisch eingeben, dann grillt der am Pixelfeuer!“ Der Schüler zögert beim Tippen. „Wie wird das noch mal geschrieben?“ – „Sau Sage!“, dröhnt es aus der letzten Reihe. Matthias Löwe, Student an der Fachhochschule Potsdam, winkt mit der Hand. „Kommt, es geht weiter zum nächsten Spiel!“
In Halle fünf des Festivalzentrums Ottensen herrscht eine gemütliche Couchatmosphäre, in dem abgedunkelten Raum stehen versetzt Sofas, Stuhlreihen, Präsentationswände und Tische. Jeder Tisch ist bestückt mit mehreren Notebooks. Auf den Bildschirmen leuchten Spiele auf. Die Schüler hechten in der Pause zu den Tastaturen. Eng an eng rücken sie zusammen und tauschen sich angeregt tuschelnd über die Spiele aus.
Das Play-Hamburg-Festival wird von der Initiative „Creative Gaming“ veranstaltet, einem 2007 gegründeten Projekt, bei dem Medienkünstler, Filmemacher und Medienpädagogen mitmachen. Gemeinsam verfolgen sie das Ziel, Computerspiele als mögliche und kreative Art des Ausdrucks in Schulen zu etablieren. „Spiele sagen, wie Filme und Bücher, etwas über die Zeit aus, in der sie entstehen. Sie sind Kulturträger“, sagt Andreas Hedrich, Soziologe,Medienpädagoge und Mitorganisator aus Hamburg. „Deshalb wollen wir die Spiele nicht nur kommerziellen Interessen überlassen.“
Das Festival soll Kinder, Lehrer und Eltern auf einer neuen Ebene zusammenbringen. Im Vordergrund stehen neben Schüler-Workshops und Mini-Vorträgen zum Game-Design vor allem die Ergebnisse von Lehrer-Workshops aus Hamburger Stadtteilschulen. Seit einem Jahr können sich Lehrer bei Creative Gaming zu den Workshops anmelden. Interessierte kommen zu ein bis zwei kostenlosen Nachmittagsseminaren. Dabei werden ihnen die Grundzüge eines kreativen Umgangs mit Computerspielen nähergebracht, um sie dann in den laufenden Unterricht einzubringen.
Das Ganze erfolgt in enger Zusammenarbeit mit erfahrenen Medienpädagogen, die den Lehrern auch nach den Workshops zur Seite stehen. Die Lehrer-Fortbildung schließt an die Schulprojekte an, in denen Schulklassen gemeinsam mit Medienpädagogen und Filmemachern an kleinen Computerspielen oder Sims-Filmen, sogenannten Machinimas, arbeiten. „Wir wollen jetzt nicht mehr nur in die Klassen platzen, alles auf den Kopf stellen und nach getaner Arbeit wieder gehen“, sagt Hedrich. Die Lehrerfortbildung sei ihnen daher sehr wichtig.
Auch die Kunstlehrerin Kathrin Heidler aus einer Stadtteilschule in Schnelsen hatte vergangenen Dezember an einem der Workshops teilgenommen. „Ich bin durch einen Kollegen darauf aufmerksam geworden, der bereits einen solchen Workshop gemacht hat. Das hat sich ein bisschen etabliert an unserer Schule“, sagt sie. Die anderen Kollegen seien auch schon ganz erpicht darauf.
Besonders Lehrer aus der älteren Generation fühlen sich vom Konzept des Creative Gaming angesprochen und bewerben sich fleißig für die Fortbildung. „Auf der Fachkonferenz waren es besonders die älteren Lehrer, die gesagt haben: „Oh toll, ich möchte modern sein, ich möchte meinen Schülern aktuellen Unterricht bieten!“, berichtet die Kunstlehrerin.
Den Schülern müsste man nicht mehr viel vorab erklären, sie seien mit dem Genre bereits vertraut, sagt Andreas Hedrich. Katja Heidler hingegen fühlt sich nun besser gerüstet für den Unterricht. „Jetzt kann ich auch mit Begriffen glänzen“, sagt sie lachend.
Beim Festival in Ottensen waren es vorwiegend Mittelstufenschüler, die ihre Ergebnisse vorstellten. Creative Gaming arbeitet aber auch gern mit älteren Schülern. „Spiele ab 16 bieten noch viel mehr Möglichkeiten zur Kreativität“, sagt Hedrich und nennt als Beispiel eine Bremer Künstler-Gruppe, die 2011 Friedenstruppen auf den Weg durch das kriegerische Spieleuniversum von Counter Strike schickte mit dem Ziel, die virtuelle Welt neu zu erschließen und die Kampfzone zu befrieden. „Andere studieren ganze Balletttänze im Egoshooter ein“, sagt Hedrich.
Bedeutet das nicht Anarchie in den Netzwerken? Andreas Hedrich schmunzelt. „Ein wenig.“
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