Kritik der Woche : Tanztee bei Frau Hedi
Frau Hedis Flur schmückt ein dunkelroter Läufer mit Blümchen und ein oller Tisch. Die bunte Tischdecke ist eigentlich ein Wandteppich, das Motiv alles andere als geschmackvoll: Reh und Kitz beim Fressen im Wald. Frau Hedis Flur ist ein Steg an den Hamburger Landungsbrücken.
„Frau Hedis Tanz Kaffee“: Was klingt wie ein nerviger Kaffeeklatsch in einem stickigen Wohnzimmer ist ein schwimmender Club, genauer gesagt eine Barkasse, ein fast ganz normaler Hafendampfer – allerdings ohne Käpt‘n mit schneidigen Sprüchen in bestem Hamburgerisch. Frau Hedi hat Platz für „119 Personen bis Glückstadt“, steht auf einem Messingschild an Bord. Immer freitags und samstags ab 19 Uhr und sonntags ab 15 Uhr sticht Frau Hedi in See. Dann dreht sie ihre Runden durch den Hamburger Hafen und legt zu jeder vollen Stunde an Brücke 10 an.
Kaffee und Kuchen wie bei Oma gibt es bei Frau Hedi nur sonntags, ansonsten stehen Bionade, Astra und belegte Baguettebrötchen aus der Bierkiste auf der Karte. Statt mit Häkeldeckchen und Spitzengardinen schmückt Frau Hedi ihr Wohnzimmer mit Diskokugeln, Wimpeln und goldenen Paillettschals. Nur beim Setzen auf eine der harten Holzbänke fühlt man sich wie bei Oma: die quietschen und knarren wie ein altes durchgesessenes Sofa.
Wahrhaft entspannend, so ein Törn mit Hedi. Während man am kühlen Astra nippt, erzählt Frau Hedi vom Raggle Taggle Swing, von Russen Pistolen und anderen Querschlägern oder auch von Seepferdchen beim Hula Punk, während der knatternde Dieselmotor die Barkasse durch den Hamburger Hafen schiebt.
Wer braucht schon Beachclubs, an deren künstlichen Stränden sich die Wellen brechen, wenn man mit Frau Hedi auf den Wellen reiten kann – vorbei an riesigen Tankern und verrosteten Hausbooten, vorbei an Luxusyachten und neuen Bürogebäuden aus Glas und Stahl?
Statt wie in den Strandclubs in das flackender Licht von stinkenden Gartenfackeln getaucht zu sein, leuchtet Frau Hedi angenehm im Schein bunter Glühbirnen. Und wäre da nicht das leise Plätschern des Wassers und der Hauch von Diesel, der einem ab und zu in die Nase steigt, man könnte die alte Hedi glatt mit dem Partykeller im heimischen Elternhaus verwechseln.
„Frau Hedis Tanz Kaffee“ ist die schönste Hafenrundfahrt der Stadt. Christina Stefanescu