: Musiker mit Machete und Schaufel
SÜDEN Das Wassermusik-Festival im Haus der Kulturen der Welt beschäftigt sich mit Kolumbien und den Folgen der Sklaverei
„In Teresitas Haus gibt es Fleisch, sie haben gerade eine wunderschöne Kuh geschlachtet.“ Wenn hierzulande jemand in den frühen Morgenstunden vor Sonnenaufgang mit diesem Gesang durch die Straßen zöge, hätte er wohl im Handumdrehen eine Anzeige wegen nächtlicher Ruhestörung am Hals. Der blinde Sänger Panamá aber tut dies mit der größten Selbstverständlichkeit, er wird sogar dafür bezahlt. Er lebt allerdings auch nicht in Deutschland, sondern im kolumbianischen San Basilio de Palenque, dem ersten freien Dorf in Amerika, das von entflohenen Sklaven im 17. Jahrhundert gegründet wurde. Seit 2005 gehört der Ort, in dem heute 3.500 Menschen leben, zum Unesco-Kulturerbe.
Panamá ist einer der drei Protagonisten des Dokumentarfilms „Jende Ri Palenge“ von Santiago Posada und Simón Mejía, der heute beim Eröffnungsabend des Wassermusik-Festivals im Haus der Kulturen der Welt zu sehen ist. Der Film entstand 2008, als mit dem „San Basilio Estudio“ das erste Aufnahmestudio der Stadt gebaut wurde, um die für San Basilio typische Palenque-Musik zu dokumentieren. Er folgt den Sängern Panamá, Léon Towers und Sikito durch das Dorf, wie sie ihrer Arbeit nachgehen und über ihre Kultur sprechen.
In den ersten Bildern sieht man Panamá um 4 Uhr morgens vor seinem Haus stehen und sich die Zähne putzen, bevor er seine Runde macht, um den Nachbarn frisch Geschlachtetes anzupreisen. Sein Weg führt ihn über ungepflasterte Sandstraßen, vorbei an einfachen, flachen Häusern. „In diesem Dorf kann man nur von Landwirtschaft leben“, so sein Musikerkollege, der Elektriker León Towers. „Auf die Dauer ermüdet es aber, weil es so wenig einbringt.“ Die meisten Bewohner von San Basilio arbeiten mit der Machete und der Schaufel auf dem Feld, andere Mittel haben sie nicht.
Das musikalische Erbe
Musik machen die Sänger in ihrer Freizeit. Das musikalische Erbe der Stadt gelangte vor gut 400 Jahren mit ihren Vorfahren aus Afrika nach Kolumbien: Komplexe Trommelrhythmen, über denen Call-and-Response-Gesänge erklingen. Im 20. Jahrhundert entwickelten sich daraus Stile wie Champeta Criolla oder Son Palenquero.
Weder Panamá noch Léon Powers können schreiben. Ihre Musik beruht auf mündlicher Überlieferung, die von Generation zu Generation weitergereicht wurde. Doch erst in jüngerer Zeit scheint sich unter den Afrokolumbianern ein Selbstbewusstsein für das Singen in ihrer eigenen Sprache Palenquero zu bilden. „Das gehört doch zu uns“, wundert sich Panamá. „Warum sollte man sich dafür schämen?“
Die Palenque-Musik, die im Film selbst nur am Rand vorkommt, kann man dafür umso ausführlicher mit der beim britischen Label Soul Jazz erschienenen Box „Jende Ri Palenge“ studieren, der auch eine DVD des Films beiliegt. „Kolumbien hat zurzeit neben Brasilien die interessanteste Musikszene überhaupt“, freut sich Kurator Detlef Diederichsen. „Es gibt dort ganz viele Musikszenen innerhalb der Landesgrenzen.“ Darunter auch kolumbianische Cumbia, die am 4. August zu hören ist. Morgen kann man dann der Sängerin Totó la Momposina, einem „kolumbianischen Nationalheiligtum“, oder der exilkolumbianischen Salsa-Band DLC Südsound aus Neukölln lauschen.
TIM CASPAR BOEHME
■ „Jende Ri Palenge“. Regie: Santiago Posada, Simón Mejía, Dokumentarfilm, Kolumbien 2008, 38 Min. ■ Wassermusik 2012, bis 11. August
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