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Archiv-Artikel

strafplanet erde: erdbeerpflücker in der haiku-ambulanz von DIETRICH ZUR NEDDEN

In der Annahme, dass die Mitwelt überwältigt aus den Latschen kippt, dpa eine Eilmeldung draus macht und die ARD einen „Brennpunkt“, hier die Geschichte, wie ich, der Rookie, auf einer Plantage Erdbeeren gepflückt habe. Und zwar neun Kilo. Andere Leute, vorwiegend aus dem osteuropäischen Ausland stammend, pflücken saisonal-nebenberuflich, ich weiß. Für fies wenig Geld, nehme ich an. Ich hab dafür bezahlt. Nicht fürs Pflücken, sondern für die Erdbeeren. Neun Kilo.

Der Drang, das Solitärerlebnis Erdbeerpflücken zu wagen und zur Plantage nach Roloven zu fahren – roll over, roll over –, ergab sich aus der mir bis dahin unbekannten Auskunft, auf welche geradezu triviale Weise das Einkochen zu Erdbeermarmelade vonstatten geht. Fleißarbeit, das schon, aber von überschaubarer Dauer und keine kompliziert-komplexe, mit Fingerspitzengefühl kombinierte Hirnakrobatik. Das kam mir entgegen.

Ein brüllend heißer Sonntag. Am Meeting Point der Plantage der unerwartete Dämpfer: Die pflückwilligen Massen werden informiert, das angrenzende Feld sei abgeerntet. Ein Traktor werde in wenigen Minuten eintreffen und „… frische Erdbeeren herankarren? Die dann mit Tesa an die blank gezupften Sträucher geklebt werden?“ Ist eine Möglichkeit, aber so war’s nicht. Auf dem Anhänger des Traktors – Verkehrssprachen waren Russisch, Polnisch und Deutsch – zuckelten wir zu einem Feld weiter draußen. Ich der einzige Solist, der einsame Typ, von den anderen Passagieren mitleidig betrachtet. Dann Klappe auf und raus. Die Choreografie erinnerte an die inzwischen historischen Bilder vom Ansturm bei der Eröffnung des Sommerschlussverkaufs.

Neun Kilo himmlisch süße, prächtig rote Beeren zupfte ich mit einer an Raserei grenzenden Geschwindigkeit, als ob ich auf Akkordbasis angeheuert wäre. Ein Ferienjob blitzte auf im Sonnenglast, es ist ewig her. Ich stehe in der Packerei einer Schraubenfabrik vor einem riesigen Tisch, auf den der Gabelstapler riesige Mengen Schrauben schüttet, die in Kartons zu sortieren sind. Wie ein Irrer stürze ich mich auf die Schraubenberge, mit mörderischem Ingrimm erledige ich das Pensum – aus debilem Ehrgeiz, aus unangebrachtem Sportsgeist oder so – schneller als die regulären Kräfte. Die sind stinksauer, weil die Aushilfe den Schnitt kaputt macht, wie ich mit einiger Verzögerung, dann allerdings gehörig schlechten Gewissens bemerke. Das hab ich nicht gewollt!

Neun Kilo. Damit ich mit den zwei Kiepen und zwei Plastikschüsseln den Anhänger erklimmen konnte, half mir ein entspannter Familienvater. Zurück zur Basis. Abwiegen, bezahlen.

Unterstützt von einigen Weizenbieren hatte ich am Ende neun Kilo Erdbeeren sämig verflüssigt und abgefüllt. Alles fertig, ich auch. Entzündeten Auges betrachtete ich danach das „Strawberry Haiku“ von Richard Brautigan, diese regelgerechten siebzehn „Silben“ in drei Zeilen, geschrieben 1976 in Tokio:

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The twelve red berries

Drei Kilo mehr und ich wäre vielleicht in die Schwergewichtsklasse des Dichterolymps aufgestiegen: „Zwölf Kilo Erdbeer’n“. Aber die Marmelade schmeckt.