die taz vor zehn jahren : Über die letzten Tage Berlusconis
Daß die Niederlage Berlusconis bei der Sanierung seiner alten Freunde in Sachen Justiz massive Auswirkungen für die künftige Regierungsarbeit haben wird, steht außer Zweifel: Das unter Zehntausenden von Protestbriefen begrabene U-Haft-Dekret bringt den Ministerpräsidenten in Bedrängnis bei seinen Freunden, bei denen er im Wort steht. Es bringt ihn aber vor allem um die einzige ihm mögliche Art des Regierens: die des schnellen Streichs, des Anordnens und blitzschnellen Ausführens. Da ihm nun der Weg der Nacht-und-Nebelaktionen versperrt sein wird, müßte er parlamentarische Überzeugungsarbeit leisten – gerade das, was er für besonders überflüssig hält.
So bleiben ihm nur wenige andere Auswege. Demokratisch sind die alle nicht – und für ihn sicher sind sie auch nicht.
Besondere Hoffnung auf die Zukunft gibt, daß all das geschehen konnte, ohne daß in Italien eine wirkliche politische Opposition existiert. Die Linke leckt sich noch immer ihre Wunden und hat den derzeitigen Proteststurm regelrecht verpaßt – und doch schien es, als wäre alles höchst organisiert und von einheitlicher Lenkung. Wo die reguläre Gegenkraft im Parlament fehlt, haben die Ligen es regierungsintern übernommen, Berlusconi zuzusetzen. Ansonsten haben Italiens Bürger einmal mehr gezeigt, daß sie auch ohne die – in letzter Zeit bis zum Überdruß angebotene – großmächtige Hilfe oberschlauer Rezeptgeber aus dem Ausland imstande sind, ihre Regierenden zur Räson zu bringen. Der Kampf ist damit sicher längst noch nicht entschieden. Aber ein Pflock gegen Berlusconi wurde da schon eingeschlagen.
Werner Raith, 21. 7. 1995